Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 11. Februar 1943

den 11.2.43

Meinliebster Mann,

Der Tag heute ist grau in grau. Es tropft und regnet und platscht vom Himmel, von den Bäumen und den Dächern. Wir haben das Bedürfnis, diesen grauen Tag etwas aufzuhellen und wissen nicht wie. Vielleicht backe ich Waffeln. Ich habe das Waffeleisen wiedergefunden, das jahrelang verschwunden war. Es war mit den Küchensachen der Mutter damals in den Keller gewandert. Ich werde sie allerdings ohne Eier backen müssen. Vielleicht wird’s was, vielleicht wird der Versuch missglücken. Aber weil mein Käsekuchen ohne Eier so schön war, werde ich's versuchen.

Gestern kam Dein Brief, lieber Mann, und all das, was Dir Gedanken macht, macht sie mir auch. Wir müssen uns jedenfalls auf eine sehr harte Zeit im Frühjahr vorbereiten. Ich kriege so langsam das dumme Gefühl, als müsste ich mich auch noch irgendwie in den großen Arbeitsprozess einreihen, als wäre die Arbeit, die ich hier tue, nicht kriegsentscheidend. Diese Gedanken sind ja Unsinn,, aber irgendwie habe ich ein schlechtes Gewissen. Wenn man aber wieder hört, wie Charly alle Hebel in Bewegung setzt, um seine Edith vor jeder Arbeit zu bewahren, und das will er vor Abschluss seines Urlaubs auch noch fertigkriegen, kann man sich ja wieder ärgern.

Ich hoffe nur, dass die Arbeitsämter auf solche Fälle geeicht sind. Dein Kamerad Hohle scheint mir ja auch zu dieser Sorte zu gehören. Ich glaube, er findet es im Frühjahr in Hinterpommern auch ruhiger wie an der Küste. Dass Du wohl auch noch weg musst, habe ich mir auch schon gesagt, aber ich schiebe den Gedanken, der mich sehr be-

schwert, immer noch weit weg. Erstens hat es jetzt überhaupt keinen Zweck, sich Zukunftssorgen oder Hoffnungen zu machen, und wenn es wirklich so kommen sollte, müsste ich mich in etwas fügen, das Millionen Frauen auch ertragen müssen. Vielleicht kommt es aber nicht so weit. Gestern habe ich mich mit schwerem Herz schlafen gelegt, und das verschwand auch während des Schlafes nicht, denn mehrmals, wenn ich aufwachte, war es immer noch so.

Desto erfrischender ist die Unbekümmertheit der Kinder. Sie sind wirklich völlig unberührt von allen Sorgen. Dafür haben sie ihre eigenen Kämpfe. Gestern morgen z.B. waren alle fünf aneinandergeraten, weil Helga ihre Jugendburg suchte und die Kleinen sie zerknittert hatten. Helga war so außer sich, dass sie einen förmlichen Jähzornsanfall bekam und die Jugendburg in hundert kleine Stücke zerriss und anschließend noch das große Blatt von der Fünffingerpflanze. Sie kannte sich selbst nicht mehr. Es hatte sich scheinbar zu viel in ihr aufgestaut.

Die Pädaschüler (und die anderen natürlich auch) aus der Unterprima (oder ist es Oberse-kunda?) z.B. Karl Holtmann und Richard Schubert, werden jetzt zur Heimatflak eingezogen. Gestern sind 40 Jungen in ein Ausbildungslager abgezogen. Sie müssen dann, wenn sie wiederkommen, den Dienst neben der Schule machen. Die Jungen finden das natürlich herrlich.

Das Gewürms ist um mich. Weil es so regnete, konnten sie nicht in den Kindergarten, und statt unten zu spielen, müssen sie unbedingt an der Mutti kleben. Ich habe Klaus Dein altes Brillengestell verehrt. Er ist selig. Neuerdings hütet er die Puppen, nimmt abends alle fünf mit ins Bett, verwahrt sie, kuschelt sie ein und liebt sie innig. Er möchte zu gerne eine davon geschenkt haben. Jürgen dagegen

bildet sich zum kommandierenden General aus.

Gestern tauchte das Gerücht in Godesberg auf, und Frau Koch sagte, sie habe es vom Ortsgruppenleiter Thelen selber, dass Dreesen beschlagnahmt ist als Unterkunft für die seinerzeit bei unserem Einmarsch geschnappten amerikanischen und englischen Journalisten und Diplomaten. Nun freuen sich die Godesberger, weil man annimmt, dass auf die Ecke, in der die Leute untergebracht sind, keine Bomben abgeworfen werden. Und diese Annahme hat ja auch eine kleine Berechtigung. Meinst Du nicht auch?

Nun ist Abend und wieder Alarm. Hurra, er hört eben wieder auf. Ich hatte eben vor, allerlei zu philosophieren über das Leben in allgemeinen und das augenblickliche im Besonderen, aber nun lass ich es. Ich bin erst froh, dass der Angstmoment für heute mal wieder überstanden ist. Und weil ich so froh darüber bin, werde ich auch müde und gehe gleich ins Bett. Ich warte fast nie mehr den Zehnuhrnachrichtendienst ab.

Die Waffeln heute mittag waren komischerweise sehr gut geraten. Durch all diese Erfahrungen werde ich immer waghalsiger im Kuchenbacken ohne Eier und ohne oder nur mit wenig Fett. Ich wage mich an alle möglichen Rezepte aus den Kochbüchern und lasse dabei nur die beiden Zutaten, die früher die wichtigsten waren, weg.

Helga saß heute abend auf meinem Schoß, sie wird neuerdings so gerne gehuschelt und war beinahe übertrieben zärtlich. Sie meinte, ob ich mich nicht auch danach sehnte, dass Du mich mal in den Arm nähmst und wie ein kleines Kind huscheln und verwöhnen würdest. Ach, wie gerne möchte ich das.

Zu denken, dass Du vielleicht doch fort musst!! Und dann vielleicht so völlig unerreichbar zu sein für alle Briefe wie Hillenbrand und für Fragen, die Du ja doch nur allein beantworten kannst. Und in all dem Chaos und den Schrecknissen der Zeit bist Du allein für mich die Stelle, die mir Ausruhen und guten Mut gibt, nach der ich mich ganz einfach sehne. Ich denke so oft jetzt an die Zeit, in der wir wieder ein gemeinsames Leben beginnen können. Wird sie wo werden, wie wir sie uns erträumt haben.

Viele liebe, liebe Küsse Deine Lotti