Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 6. Juni 1943

den 6. Juni 43

Mein allerliebster Mann!

Warum wurde das Gespräch vorhin unterbrochen? Ich redete und redete - und merkte auf einmal, dass ich gar keine Verbindung mehr mit Dir hatte, und sie neu herzustellen, war ich zu ängstlich, weil ich den Grund der Unterbrechung nicht wusste. Ich habe nun wenigstens mit Dir gesprochen, wenn es auch nur ganz kurze Worte waren aber man muss doch ganz bewusst immer wieder das Wunder erfassen, über eine solche Entfernung miteinander sprechen zu können und für einen Augenblick doch verbunden zu sein. Ein magerer Ersatz ist es trotzdem.

Als ich dann eingehängt hatte, kamen die Kinder allemale reinspaziert mit den Omis, und Helga sagte ein Gedicht auf, das Omi Endemann gedichtet hat. Sie hatte dazu einen Strauß roter Rosen:

Von unserm Pappi einen Gruß
hab' ich Dir heut zu bringen,
der leider ferne bleiben muss,
sein Herz will zu dir dringen.
Wie gerne er heute bei Dir wär,
brauch ich wohl nicht zu sagen,
doch harte Pflicht, Soldatenehr,
die wollen sein getragen.
Drum will ich heut sein Bote sein,
nimm hin aus meinen Händen
die schönen, süßen Blümelein,
des lieben Pappis Spenden.
Und tausend Wünsche lieb und treu
sind auch darin enthalten,
es möge Gott im Himmel dich
gesund und froh erhalten.

Ist das nicht reizend?

Hinterher sangen dann Klaus, Ursel und Jürgen ein Lied. Klaus wand sich dabei wie ein Regenwurm. Sowas ist ihm schrecklich.

Gestern abend war es reizend. Der Regen draußen rauschte unverdrossen, und ich hatte im Ofen ein kleines Feuer angemacht, und so saßen wir bis in die tiefe Nacht, zuerst bei Tee und Kuchen, hinterher bei Eiern und Würstchen mit Senf. Der Nachmittag heute gilt nun dem Kuchenessen mit den Kindern, und heute abend, meinten die Omis, wollen wir im Adler zu Abend essen und anschließend in den Film. So wird der Tag doch noch festlich.

Lisbeth ist gestern, als der erste Gast, schellte, in ihrem Eifer die Treppe runtergefallen und hat sich beide Absätze abgebrochen, was weiter nicht schlimm ist, aber auch den Daumen gehörig verstaucht, was schon unangenehmer ist. Hoffentlich ist er nicht gebrochen. Sie muss gleich zur Untersuchung. Nun werde ich heute ran müssen. - Das Wetter zeigt immer noch keine Neigung, sich zu bessern, aber die Schlingpflanzen am Balkon wachsen heftig. Habe ich Dir übrigens schon geschrieben dass die Schwertlilien, die nie geblüht hatten, dieses Jahr sich dazu aufgerafft haben. Und sogar tüchtig. Es sind weiße Blüten mit zarten lila Streifen am Kelch. Hast Du das Buch mit den Bildern von C.D. Friedrich bekommen? Es ist doch hübsch?

Nun ist der Abend da. Das Programm hatte ich ein klein wenig geändert. Wir sind heute nachmittag in den Film gegangen, der übrigens reizend war: 'Zwei glückliche Menschen'. Ich hatte zuerst die Befürchtung, dass dieser Film etwas süßlich-kitschig sei, aber dem war nicht so. Und dann haben wir zu Haus zu Abend gegessen.

Zum ´Adler´ hatte ich keine Lust, erstens weil ich zu faul war, mich in Gala zu werfen, und dann,

weil es höchstwahrscheinlich doch nichts gegeben hätte, um das es sich gelohnt hätte. Nun habe ich mir zu Hause Makkaroni mit Spiegelei gewünscht, und hinterher gab's die zweite Schüssel Stachelbeergrütze mit Vanillesauce. Doch hübsch, was?

Die Kinder haben sich heute in keiner Weise so benommen, wie es einem Geburtstag entspricht, aber dafür genau, wie es einem Regentag und sich langweilenden Geschwistern entspricht. Die Haare konnten einem zu Berge stehen. Jürgen hat tüchtig Haue bekommen, weil er mit Ursels Hilfe Helgas Lesebuch zerfetzt hatte, und jeder, nicht zumindest Helga, hat sich an der Bestrafung beteiligt. Hinterher stellte sich aber raus, dass es nicht das Lesebuch war, sondern irgendein altes Buch. Abends hat er dann mit dem Rest von seinem Brei Anstreicher gespielt. Klaus hat einen Leukoplaststreifen um seinen wehen Finger und hatte sich dadurch eine Stopfnadel gesteckt und ließ sich dann auf die Finger hauen. Und miteinander spielen können sie nicht. Ursel ist zu eckig und Helga zu groß, nur die beiden Jungen können etwas miteinander anfangen.

den 7.3.43

Lieber Mann, die Flaute bei mir will noch nicht weichen. Um mich herum ist sozusagen alles grau in grau. Ich glaube, ich habe die Enttäuschung über den verunglückten Urlaub noch nicht überwunden und nichts ist, auf das man sich irgendwie freuen könnte. Darum spiele ich jetzt auch mit dem Gedanken, doch nach Jever zu kommen. Auf was soll man denn warten. Sehr vielversprechend sieht die Zukunft ja, was das persönliche betrifft, nicht aus. Vielleicht ist man auch noch zu anspruchsvoll. Auf jeden Fall habe ich heute einen Tag, an dem meine Grundsätze, dass die Arbeit einen glücklich macht und der sonst auch bei mir stimmt, gar nicht passen wollen. Heute müsste ich eine richtige Freude haben und die könnte

in meiner heutigen Stimmung nur mit Dir zusammenhängen. Ich spiele jetzt mit dem Gedanken, vielleicht im August nach dort kommen zu können, aber es ist vorläufig nur Phantasie, das Konkrete fehlt.

Ich greife noch mal den Gedanken an eine Inspektorenstelle wie Ebs Hartz sie hat und von der Du damals sprachst, auf. Wäre er noch einmal der Überlegung wert? Wer weiss, wie lange der Krieg noch dauert und nachher findet sich dann wohl auch noch Rat. Vielleicht könntest Du Dir aber Dein jetziges Leben befriedigender gestalten.

Ich mache jetzt Schluss. Gleich kommen die Kinder aus dem Kindergarten und dann wird das Haus voller Unruhe.

Viele liebe Küsse

Deine Lotti