Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 7. November 1943

den 7.11.43

Liebster Mann!

Ich bin die letzten Tage ziemlich schreibfaul gewesen, immer in dem Gedanken, er kommt ja doch bald, und dann können wir uns alles erzählen. Heute kommt nun Dein Brief vom 5., in dem Du schreibst, dass es mies mit dem Urlaub stünde, das war so richtig eine Enttäuschung und gerade am Sonntag. Aber deshalb sollst Du sofort einen Brief bekommen. Ich habe nur die Befürchtung, dass er mehrere Tage unterwegs ist wegen Köln und Münster.

Ich habe eben eine ganze Zeit die Schreibmaschine lassen müssen. Im Radio waren Erzählungen über Kriegskameraden, und Klaus hat so hingegeben zugehört, dass ich ihm die Freude nicht nehmen konnte.

Daß Du nun vielleicht doch nicht kommst! Ich habe eigentlich die ganze letzte Woche darauf zugelebt und mich darauf gefreut und eingestellt. Ich habe auch das Paket mit der Wäsche deshalb nicht abgeschickt, weil es ja doch bis nächste Woche gelaufen wäre (mit der Bezeichnung Obst kann ich es nicht deklarieren, weil Obstpakete express nicht angenommen werden).

Nachdem vor fünf Minuten der Voralarm einsetzte, kommt jetzt der Vollalarm. Das bedeutet nun, dass dieser Brief statt mit der Mittagspost erst heute abend losgeht, denn nun muss ich meine Küken sammeln und aufpassen. Die Jäger sind schon hoch.

Gestern im Kino saß ich --- hinter Charlie Vogel. Er muss aber heute weg, in die Gegend von Kriwoj Rog. Er hatte Dir vor ca drei Monaten einen Brief geschrieben, als sie von Stalino nach dort verlegt wurden. Den hast Du wohl nicht bekommen? Rechtsanwalt Noll kämpft bei Kiew. Er hatte eine Verletzung am Auge und musste ins Lazarett. Als er wieder rauskam, war sein Regiment aufgerieben.

Viel war nicht los mit dem Alarm. Nun, nach Tisch, mache ich die Kinder fertig, die zu Fräulein Spielmann eingeladen sind. Draußen ist das richtige Novemberwetter, stürmisch, regnerisch. Ich denke dabei an unsere gemütlichen Kaffeestunden in den ersten Jahren unserer Ehe mit dem Stövchenlicht am kleinen Tisch im Wohnzimmer. Ich wünsche mir das so sehr noch einmal zurück.

Trude Herkenrath schrieb mir gestern wegen des Drahtfunks. Sie war Anfang der Woche hier. Da muss ein Kupferdraht mit Stecker in die Antennenöffnung eingesteckt werden, und das andere Ende muss am Telefon an den Nickelhaken befestigt werden. Kannst Du mir ein Stück Kupferdraht besorgen? Bei Alarm wird das Radio dann darauf eingestellt, und man hört, wo die Flieger sind.

Vielleicht macht es auch die Post, ich muss mich mal erkundigen. Ich möchte es gerne haben, dann braucht man abends nicht so schnell die Kinder aufnehmen.

Ich will den Brief nicht zu lang werden lassen, sonst geht er heute wieder nicht fort. Den Sonntagnachmittag habe ich dazu benutzt, um das Kinderzimmer, besonders, was die Regale und Fächer betrifft, gründlich aufzuräumen. Mir ist heiss dabei geworden und wütend war ich auch.. Aber ich habe mich dann an meinen Spielschrank erinnert, der genau so aussah und dann wieder Mut gefasst.

Draußen stürmt es, und ich genieße heute abend mein schönes Zimmer. Beide Jalousien sind nun runtergeknallt und können während des Krieges nicht mehr gemacht werden. Eben kommt wieder so ein heftiger Windstoß, bei dem man mit Wohlgefühl in seinem warmen Zimmer sitzt. Wenn die Kinder einen bloß nicht immer so plagten-----.

Ich gehe gar nicht mit grosser Freude in diese Woche rein, weil Dein Kommen so unbestimmt ist.

Deine Lotti

(Fragment)

Eben, um halb vier, kam der Alarm. Vielleicht verfolgst Du jetzt auf der Karte den Einflug der Bomber und denkst an uns. Ein schöner Gedanke. Ich sitze nun da und kann nicht zu Frau Sprock. Ob die Bomber Richtung auf uns kommen? Die Flak schießt schon in der Ferne, und vorhin brummten auch welche über uns. Ich werde nun meine Aufmerksamkeit zwischen diesem Brief und der Beobachtung von Lisbeths Balkon aus teilen. Die Jäger sind auch schon hoch. Helga ist in der Schule, die übrigen Kinder sind zu Hause. Sie brummen augenblicklich genau über uns, aber sehr hoch, und dadurch kommt es einem nicht zu Bewusstsein, dass man in Gefahr ist. Lisbeth steckt die Kleinen in den Keller unter äußerstem Protest von Klaus, der lieber auch sehen will, wo sie stecken. Ich denke ja auch, dass es nur gefährlich werden kann, wenn ein Luftkampf über uns stattfindet; im übrigen werden sie ja wohl ihren festen Auftrag haben. Kann man eigentlich in der Höhe etwas vom Luftkampf hören, oder kriegt man plötzlich die Bomben oder ein Flugzeug ohne Anmeldung auf das Haupt? Das kannst Du mir als Fachmann ja mal sagen. Denn so gut wie in Adendorf oder Rolandseck kann ja hier mal eine runterkommen, aber es muss ja ein Luftkampf vorausgegangen sein. Ich möchte nämlich nicht, weil ich am Tag keine Angst habe, auch nicht leichtsinnig sein.

Die politische Lage hab ich mir auch schon anhand der Zeitungen überlegt, die Neuernennung des bulgarischen Außenministers und die Stützpunkte auf den Azoren. Können die Portugiesen nicht dann auch einen Schritt weitergehen und die Benutzung ihres Landes erlauben, falls es nötig sein sollte?

Ich hatte Dir einen Brief durch Feldpost geschrieben. Wann mag der wohl ankommen, sonst könnte doch eine solche lange Spanne zwischen den Briefen nicht möglich sein.

Der Alarm steht noch in voller Blüte. Eben war eine Staffel von 17 Stück dreimal im Kreis über Godesberg geflogen. Vorsichtshalber habe ich alle Gören in den Keller getan. Passiert ist natürlich nichts, aber warum fliegen sie im Kreis spazieren? Die Schleife war schätzungsweise Friesdorf-Mehlem, am Himmel natürlich bedeutend kleiner.Und ich möchte doch zu Frau Sprock… Ab und zu wird ein Repräsentationsschuss abgegeben, ein Zeichen, dass vorläufig noch nicht entwarnt wird. Weil Helga um halb fünf die Schule aus hat und um fünf Klavierstunde, wird sie wohl auch darum herumkommen. Im Kino wird übrigens bekanntgegeben, dass nach der Entwarnung das angefangene Programm nicht weitergespielt wird und die Eintrittskarten auch ihre Gültigkeit verlieren. Ich wollte morgen in den neuen Film Liebesgeschichten mit

Hannelore Schroth und Willi Fritsch. Samstag war ich in „Gefährtin meines Sommers“ ein sehr guter Unterhaltungsfilm mit Anna Dammann und Paul Hartmann.

Übrigens freue ich mich, dass Du auch jetzt öfter Gelegenhei8t hast, Dir abends Film oder Theater anzusehen. Werden in der Holzoper auch noch Filme gegeben?

Ich musste Jürgen eben vertrimmen, er haute natürlich wieder, und als ich ihn darob zu Rede stellte, meinte er: Du hast ja auch angefangen. Wenn ich ihm eine Predigt halte, die ihm nicht passt, und anschließend frage: Hast Du verstanden? Dann sagt er: Nein. Du sprichst zu leise!!!!! Er hat immer einen Deckel. Ich glaube, wir lassen ihn Jurist werden. An Beweisgründen und Gegenansichten fehlt es ihm nicht.

Entwarnung. Ich laufe.

1000 Küsse

Deine Lotti