Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 2. Januar 1944

den 2. Januar 44

Liebster Mann!

Nun sind wir im neuen Jahr, und der erste Brief ist wieder einer an Dich. Ich nehme mir vor, auch die anderen Briefe zu erledigen, dann mache ich mir die Sache damit schmackhaft, dass ich zuerst einen an Dich schreiben will, und dann bleibt es dabei.

Hast Du Silvester so verbracht, wie Du es Dir dachtest? Wir haben bei Tee und Rum und Berliner Pfannkuchen (allerdings auf dem Blech gebacken und infolgedessen doch keine richtigen) den Rutsch vom alten ins neue Jahr erwartet. Ich muss offen gestehen, dass es mich nicht sehr erschüttert hat. Ich denke ja sowieso dauernd an die Vergänglichkeit des Lebens und an das Vorbeisausen der Zeit, dass ich also darüber keine großen Gefühlsbewegungen hatte. Aber als die große Domglocke läutete, dachte ich an Dich und an unsere Hochzeitsreise und das wirst Du auch getan haben. Wie lange ist das her und auch wieder, als ob es vorgestern gewesen ist.

Die Kinder haben gestern noch einmal mit ihren Sachen in den Wohnzimmern gespielt und heute auch noch einmal, damit sie merkten, dass noch Weihnachten war.

Heute abend wollen wir Großen nun die Kerzen abbrennen. Die Erfahrung von Silvesterabend lehrte mich, dass wir nicht viel Genuss davon haben, wenn die Kinder dabei sind. Sie treiben bloß Unsinn. Heute hat Jürgen dem Klaus die Lokomotive auseinandergenommen. Klaus tobte und wollte keine Geschwister mehr haben. Weil aber die Feder nun völlig aufgerollt war, aber nicht kaputt, habe ich die Maschine wieder zusammenbekommen, worauf ich und er sehr stolz war.

Ach, Harald, ob das Wiedersehen im Februar klappt? Die Leute sprechen hier so viel von der bevorstehenden Invasion, dass dann sicher keine Zeit zu Urlaubsreisen bleibt. Freuen wir uns, dass wir unsere schönen Weihnachtstage gehabt haben. Wenn wir zurückblicken, kommt es uns wie eine Insel vor, nicht? Nun ist Weihnachten vorbei, und für morgen ist ein großes Programm fällig von Dingen, die nachgeholt werden müssen.

Harald, was meinst Du, soll ich die Abzahlungen jetzt mit Macht betreiben, d.h. mich aufs äusserste anspannen bis zur Grenze der Möglichkeit oder soll ich sehen, dass ich einen Fond für eventuelle Zufälle schaffe? Was wird wohl das Richtigere sein? Gefühlsmässig möchte ich das erste tun, aus meinem Bedürfnis nach Ordnung, vielleicht ist das zweite das Richtigere, es könnte ja sein, dass ich die Kinder verschickte und noch ausstaffieren müsste, oder der Unterhalt liesse auf sich warten, der Möglichkeiten sind viele. Im ersten Fall würde ich 14 Mk.

Nach Kassel schicken, im zweiten wie üblich 50.- Mk.

Godesberg wird so langsam Klein-Köln. In diesem Monat öffnet hier auch Kaufhaus Peters bei Pott, Leyendecker und noch einem Laden. In der ´Traube´ soll es rasend voll sein, und die Leute sollen tüchtig Wein trinken, der dort in diesen Tagen nur ausgeschenkt wird. Schließlich haben die Godesberger auch was zu tun, wenn sie das Kölner Kontingent bewältigen wollen.

Lenchens Plätzchen sind eben angekommen, leider nur als Mehl oder Müll, nur ganz wenige Stückchen waren noch dabei. Es blieb nichts anderes übrig, als die Krümel in einen Pudding zu schütten. Was übrig war, schmeckte, weil es ja vier Wochen unterwegs war, nach Pappkarton, und da halfen auch die schönen Zutaten nicht viel. Ich wenigstens habe mich lieber an meine gehalten.

Lieber, liebster Mann, ich finde, es ist schon sehr lange her, dass wir uns gesehen haben. Ich weiss nichts mehr zu schreiben und möchte diesen Brief auch nicht aufhören, weil ich dann sozusagen Abschied nehmen muss. Aber ich weiss wirklich nichts mehr. Das dicke Buch habe ich übrigens aus. Viele liebe Küsse, Deine Lotti