Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 27. Januar 1944

den 27.1.44

Liebster Mann!

Nun hatte ich eigentlich fest darauf gerechnent, dass Du noch einmal einen Kurzurlaub nehmen könntest, nicht nur, weil ich sowieso nur von den Urlauben lebe, sondern weil ich für diesen Kurzurlaub Dinge zurückgelegt hatte, die ich ja nicht selber machen kann. Das ist 1. die Jahresabrechnung Engels (übrigens hat Reg.Rat. Dr.Knapp totz seines zweimaligen Versprechens die Pachten der letzten drei Jahre noch nicht bezahlt, und dabei weiss ich nicht, ist es nun wirklich nur Vergesslichkeit oder tut er es sowieso nicht?) zweitens die Jahresabrechnung Salvini und drittens die Steuererklärungen von Dir, der Verwaltung Weil und Engels, die doch auch wohl dieses Jahr gemacht werden müssen. Dieses Jahr sollen die Erklärungen doch für beide Jahre zusammen abgegeben werden. Kommst Du nicht, lasse ich sie liegen, aber lieber wäre es mir doch, die Dinge gingen ihren richtigen Gang. Vorarbeiten kann ich ja an all diesen Arbeiten, sodass Du in der kurzen Zeitgut alles machen könntest.

Mutter geht es soweit gut, aber auch da wäre es schön, wenn Du kommen würdest. Man weiß doch nie bei solchen Herzgeschichten, wie schnell eine Änderung eintreten kann. Sie ist nun schon wieder drei Wochen im Krankenhaus, muss aber mindestens noch fünf Wochen dort bleiben, und wie es dann wird, wenn sie wieder herauskommt, weiß ich nicht. Ich bin überzeugt, dass, sobald sie aus dem Krankenhaus kommt und sich die kleinste Kleinigkeit zumutet, wieder der alte Zustand da ist. Wie sie eingeliefert wurde, war die Schwester Oberin überzeugt, dass sie keine

acht Tage mehr leben würde, sie hielt sie sogar für eine Sterbende, wie sie mir jetzt sagte, und der Arzt ebenfalls. Aber die Spritzen haben sie soweit wieder in Ordnung gebracht, dass sie ganz munter in ihrem Bett liegt. Aber trotzdem bin ich überzeugt, sobald sie nur aufsteht, kommt der Rückschlag. Und eben deshalb wäre es doch schön, besonders für Mutter, wenn Du noch einmal kommen könntest, denn im Frühjahr wird es bestimmt nicht mehr gehen, wenn die Kampfhandlungen neu aufleben und ihr da oben an der Küste mit der Invasion beschäftigt seid. Denn dass die kommt, wird uns ja zur Genüge in den Zeitungen vorgekaut, so dass wir geistig so darauf vorbereitet sind, dass wir uns wundern würden, wenn sie nicht kommt.

Wir haben hier dreizehn Grad Wärme. Die Lämmerschwänzchen blühen schon, aber das dicke Ende wird wohl noch kommen.

Helga hat heute einen Backenzahn gezogen bekommen bei Dr. Nagel. Ilse Gesler hat schon mal wieder für drei Wochen die Praxis geschlossen und ist für drei Wochen auf der Nürburg. Wie oft im Jahr macht sie eigentlich Ferien?

Im Radio wurde vorhin gesagt, dass Argentinien die diplomatischen Beziehungen zu uns abgebrochen hat. Jetzt wird liebe Lenni also unser Feind.

Meine Briefe nach Jever laufen zwei Tage, Deine nach hier fünf. - Klaus, Ursel und Heinzel Groß toben unten mit Fräulein Hunscheidts Hund Geier. Immer abwechselnd muss eins der Kinder ihn spazieren führen, was manchmal auf keine Liebe stößt. Und ich muss an die Arbeit.

Viele Küsse, Deine Lotti

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