Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 17. Oktober 1940

Reinsehlen, den 17.10.40

Mein liebes Lottenkind,

eben habe ich noch mal deinen lieben, gemütlichen Brief gelesen. Sie sind sehr hübsch, Deine Briefe und bringen einen lebendigen Hauch (?) der Heimat und des Zuhause mit. Hier ist es leider niemals ruhig, so daß man in Ruhe und Beschaulichkeit einen wirklich schönen Brief schreiben könnte. Man sitzt ständig, – vorausgesetzt, dass man überhaupt setzt, – eingekeilt zwischen zwei Kameraden, von denen sich der eine beispielsweise den Dreck von den Kleidern bürstet und der andere sich rasiert oder Skat drischt oder Gott weiß was treibt. Ich wundere mich, dass ich überhaupt schreiben kann.

Heute Morgen hatte ich ein herrliches Naturerlebnis. Wenn wir aufstehen und einen frostigen Gang zu einer gewissen Baracke antreten, ist es noch stockfinster, oder der Vollmond steht am Himmel, wie in diesen Tagen. Dann kommen 100 Verrichtungen und wenn man dann wieder hinaustritt, ist es hell oder wenigstens dämmerig. Heute nun war das herrlichste Morgenrot, das ich je gesehen habe. Der ganze Himmel stand voll Lämmerwölkchen, und alle waren vom tiefsten Rot bis zum zartesten Rosa angestrahlt. Über der weiten Ebene sah das ganz fabelhaft aus.

Nun sieh mal einer an, der Wilhelm [Lichtschlag]. Ich bin gespannt, ob er sich einfügen kann. Leicht wird es keinen und Wilhelm ist. m. E. Individualist in einem Ausmaß, wie es hier bei Preußens nicht gern gesehen wird.

Ja Lotti, es ist wahrhaftig nicht leicht. Manchmal ist es die reinste Christenverfolgung. Mir kommt es sehr zugute, daß ich 1. manches schon weiß und 2. mir gut helfen kann in vielen Situationen, vor denen die anderen fassungslos das 1. Mal stehen.

Ich habe grauenhaften Muskelkater. Weist (!) Du, so ein Muskelkater ist nur schön, wenn man ihn zu Haus in aller Ruhe auskurieren kann. Wenn man bei jedem Aufstehen und Setzen das Gesicht verziehen und leise stöhnen kann. Aber hier musst Du mit dem schmerzbeladenen Boddy (!) immer trapp trapp. Das ist bitter. Trotz allem fühle ich mich an sich wohl und habe guten Mut. Wenn Charly sagt, man käme auf das Niveau eines Negers, so würde das ohne weiteres stimmen, wenn wir nicht das ungewöhnliche Glück hätten – Birkelbach zu haben. Eben war er wieder auf unserer Bude und hat sich mit uns – genauer mit Hildebrandt und mir unterhalten. Thema Versuche der Freizeitgestaltung durch K.d.F. Ein solches Gespräch bleibt bei ihm nie an der Oberfläche hängen. Durch ihn behalten wir den Kontakt mit der Welt und ihren Problemen. Er ist die Ehrenrettung für den pr(eußischen) Unteroffizier, dabei hat er Zucht und Disziplin wie alle anderen auch, die wie die wütenden Schäferhunde mit ständigem Glück lässt um ihre eingeschüchterte Herde rumsausen. Der Tommy kommt auch hierhin, wir hören ihn brummen aber er hat noch keine Bomben geworfen. Hier gibt es Gott sei Dank auch keinen Alarm, was bei dem anstrengenden Dienst sehr angenehm ist; außerdem gibt es hier auch keine Luftschutzkeller. Von Hamburg sieht man die Scheinwerfer und hört und sieht die Flack(!). Lotti, das ist ein Theater, da ist unser Rheinland nichts dagegen. Schreib mir mal von Heidis Geburtstag. Hoffentlich kommt meine Karte noch an. Herzlichste Grüße und einen lieben Gruß

Dein Harald