Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 3. März 1944

den 3.3.44

Lieber Mann!

Ich weiß nichts Besonderes, weswegen dieser Brief geschrieben werden müsste, ich möchte nur heute abend bei Dir sein. Ich bin ganz alleine im Zimmer und werde es voraussichtlich auch bleiben. Ich habe einen Kalender an der Wand hängen, und immer wieder, wenn ich die 31 Märztage sehe, frage ich mich, ob wir wenigstens zu einem ganz kleinen Teil in diesen Tagen zusammen sein können. Und zum Überfluss zeigt dieser Kalender auch noch den Weg am Schlossberg in Marburg, den wir zusammen gingen. Eigentlich doch ein gutes Omen. Und wenn nicht das, dann doch wenigstens eine schöne Erinnerung. Was war ich außer Atem von den vielen Stufen. Aber nach Marburg müssen wir beide nochmal zusammen. Und nach Weimar. Das ist schon seit meinem 16. Jahr ein stiller, aber intensiver Wunsch von mir. Und unter diesem Bild von Marburg steht die kleine Fotografie vom Deich und Watt bei Husum. Das ist nun auch

bald

drei Jahre und trotzdem sehr stark in Erinnerung. Husum, Jever, Berlin, Stettin, Marburg und Melsungen, eine lange Reihe schöner gemeinsamer und völlig ungetrübter Erinnerungen, für uns persönlich ein durchaus positives Ergebnis des Krieges, so positiv, wie überhaupt kein Außenstehender .ahnt, weil es in einer bestimmten Wurzel begründet ist. Mein lieber, lieber Mann.

Ich selber bin heute abend in einer gewissen frohen Stimmung, weil ich den Abschluß gemacht habe. Ich habe den letzten Überweisungsauftrag für Kassel heute zur Kasse gebracht und damit einen Schlussstrich gezogen. Und dann habe ich einen kurzen Überschlag gemacht und festgestellt, dass von den ca. 10000.- Schulden bei der Einziehung ca. 7000.- fort sind. Sei nicht böse, dass ich von dem ollen Kram anfange, aber es freut mich doch sehr und außerdem glaube ich es selber nicht und kann es mir überhaupt nicht vorstellen, wenn ich es nicht schwarz auf weiß aufschreiben könnte. Glauben kann ich es trotzdem noch nicht. Aber die Freude daran musst Du mir schon zugute halten.

Und dann glaube ich auch, dass wir beide nach dem Krieg uns schon wieder unsere Existenz neu schaffen werden. Vielleicht sind wir näher an unserem gemeinsamen Leben, als wir beide ahnen. Es wird auch Zeit, dass der Pappi nicht nur als Besuch seine Kinder erlebt. Nicht wegen der strengen Erziehung meine ich jetzt, sondern in Freude.

Und dann gibt es so viel aufzubauen, dass wir uns, was das Anschaffen betrifft, beinahe jung verheiratet vorkommen müssen. Wobei ich nicht wünsche, dass wir uns überhaupt wie ein Brautpaar vorkommen müssen, das seine gesamte Aussteuer anschaffen muß, das wäre fatal.

Und wir beide müssen neben der großen Familie immer noch Zeit finden, unser ganz eigenes Leben zu leben, gerade, als wäre noch 1926 oder 33. Es gibt Grund genug zu einer Menge kleiner Feste, von denen die Kinder nichts wissen und zu deren Erinnerung Du mich einladen kannst.

Wir müssten auch mal meine alten Tagebücher wieder lesen. Ich habe es noch nicht getan, aber es werden uns bestimmt viele Erinnerungen an unsere früheste Zeit wieder lebendig, auch, wenn sie mit Ansichten einig gingen, von der Welt und von sich das Beste hoffenden Mädchens verträumt sind.

Und dann können wir sie ja wegwerfen. Aber es sind fast alle Ausflüge und dergleichen getreu aufgezeichnet, und was dann nicht drinsteht, das wissen wir beide ja sowieso. Und in spätestens drei Jahren fängt unser Helga auch damit an.

Wenn dieser Sommer Entscheidendes bringt und wir wieder an uns denken können, müssen wir auch überlegen, wie wir die Mädels- und Jungenzimmer anders einrichten. Nicht nur, damit Männlein und Weiblein getrennt sind, sondern auch, damit jeder seine Ecke kriegen kann, in der es Ordnung halten kann und wo es sich lohnt, es hübsch zu machen.

Aber nun mache ich Schluss. Es ist schon wieder 11 Uhr. Gute Nacht, mein lieber Mann, und hoffentlich kommt bald wieder ein Brief. Und hoffentlich wird es auch bald wieder wärmer. Und hoffentlich kriegst Du Urlaub.

1000 Küsse, Deine Lotti

Den 4.III.44

Heute kam die postlagernde Adresse. Ich schicke diesen Brief deshalb dorthin. Heute ist mal wieder ein lieblicher Tag, was Alarm angeht. Wir wissen beinahe nicht mehr, ist Vorwarnung oder Vorentwarnung, es geht hintereinander her. Heftige Überfliegungen. Der Bonner Bahnhof soll getroffen sein. Dass in Bonn was los war, merkte ich an den Rauchsäulen. Die arme, arme Omi Endemann. Sie kommt vor lauter Rauf und Runter nicht mehr zur Ruhe.