Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 17. März 1944

den 17.3.44

Liebster Mann!

Mehrere Maschinen über Köln meldet der Drahtfunk, und im selben Moment gibt es auch schon Vollalarm. Und ich wollte Dir heute abend schreiben. Daraus wird nun nicht viel, weil wir immerhin auf dem Posten bleiben müssen. Außerdem saust Jürgen verschlafen herum, den ich zur Vorsicht aufgenommen habe.

Nur schnell über Mutters Befinden. Es geht ihr augenblicklich gut, wenigstens besteht augenblicklich keine Gefahr. Ich glaube überhaupt, dass sie sich noch monate- und vielleicht jahrelang so halten kann, vorausgesetzt, dass sie im Krankenhaus bleibt. Die anderthalb Wochen zu Hause haben sie, trotzdem sie nur auf ihrem Zimmer blieb, enorm zurückgeworfen, einfach, weil kein Arzt kam und sie 12 Tage ohne Spritze blieb. Der Arzt hatte gemeint, sie sei so weit, dass sie nur noch jede Woche eine brauchte. Aber es zeigte sich doch nun, dass sie eben so krank ist, dass sie nur leben kann, wie Mutter selber lachend sagte, „mit Gewalt". Sie bekommt nun täglich ihre Strophantinspritze, kriegt dazwischen entwässernde Spritzen und täglich Tabletten fürs Herz und abends Schlafmittel als eine Behandlung, die zu Hause einfach nicht durchgeführt werden kann, weil der Arzt nicht jeden Tag erscheinen kann. Ich nehme an, dass wir sie in fünf Wochen wieder nach Hause nehmen können, um sie vierzehn Tags später wieder im Krankenhaus abzuliefern, und so wird es wohl bleiben. Aber es gibt ja so viele Fälle, wo sich Leute mit Wassersucht jahrelang halten, gut wird es natürlich nicht mehr. Mutters Appetit ist jedenfalls ausgezeichnet, und die Verdauung ebenso, und das ist ein beruhigender Faktor, wenn ich auch die ersten Tage große Sorge hatte und auch vor Angst nicht schlafen konnte.

Ich mache mir nun Sorge, woher ich das Geld nehme, denn einmal hören die Kassen bei einer solchen andauernden Krankheit zu zahlen auf. Die letzte (Rechnung) betrug über 500,- Mk., und die wird wohl hoffentlich bezahlt werden. Ich habe sie geteilt. Mutter meinte, und das wäre vielleicht richtig, einen Antrag an die Ruhegehaltskasse zu stellen wegen außergewöhnlicher Belastung.

Besteht keine Möglichkeit, die Einkommensteuererklärung zu machen, Paps? Dumm, dass Du die Aufforderung nicht bekommen hast. ich würde gern zehn Steuererklärungen mit Dir machen, wenn Du nur kämst, mein Mann.

Frühling will es wohl dieses Jahr nicht werden. Nieselig und kalt ist es. Eben musste ich mal schnell Jürgen auf den Schoß nehmen und abküssen. Er ist so süß. - Und vorgestern habe ich mit der Mu bei Dreesen zu Abend gegessen. Auf Wunsch und finanziert von Omi Endemann, die wollte,

dass ich mir endlich mal was gönnen sollte, und alle Leute erzählten immer, dass man sich dort sattessen könnte. Das stimmte auch. Der Abend war sehr schön, bei Dreesen alles sehr friedensmäßig und gepflegt, und außerdem war ich so satt, dass ich das letzte nur aus Anstand aß. Und tatsächlich kann man dort Räucherfisch als Vorspeise kriegen und mehrere Fischsorten, Gemüse, das man ja auch nicht mehr kennt, und auch Apfelsaft, den man auch nicht mehr kriegt. Es war sehr schön, und Mutter hatte wieder Freude, dass ich mich freute.

Auch mir fehlt heute abend die Konzentration, weiter zu schreiben. Man wird doch reichlich gejagt, und außerdem ist noch keine Entwarnung. Thea schrieb jetzt und das ist wahr, man meint, es müsse endlich mal was passieren, trotzdem doch eigentlich jeden Tag genug passiert. Aber man hat das Gefühl des Stagnierens, es muss endlich was kommen, das einem irgendwie Richtung in die Zukunft gibt.

Das Paket aus Jever ist noch nicht da. Ich sehe schwarz für den Porree. Schade. Gute Nacht, liebster Mann, Deine Lotti

Jürgen küsst Dich tüchtig.