Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 19. März 1944

den 19.3.44

Liebster Mann!

Also, Du willst meine Meinung wegen des Gartenproblems hören. Sie ist nicht sehr bejahend, trotz des Gemüsemangels. Ich weiß wirklich nicht, wo wir ein Gartengrundstück herkriegen sollten, und wenn wir es hätten, müsste es ja auch bearbeitet werden. Es käme also nur eins in nächster Nähe in Frage, aber Lisbeth fiele schon mal sowieso aus als Bearbeiterin. Die hat's mit dem Putzen, und alle meine Predigten und Beschwörungen helfen nichts. Ich hätte z.B. Kleider nötig für die Kinder, und sie näht so gut und gern. Aber sie kommt vor lauter Putzen nicht dazu, und wenn ich helfe, und sie ist früher fertig, findet sie bestimmt etwas, was dann nach extra vorgenommen werden kann. So ist das.

Aber das ist nicht das Wesentliche. Die Hauptsache ist doch, dass wir nichts von Gemüsezucht verstehen und was ich so bei Geslers und Frau Hillenbrand als Erfolg ihrer Bemühungen gesehen habe, ist nicht gerade ermutigend und lohnt diesen Aufwand nicht. Ilse Gesler sagte mir, sie habe es jetzt drei Jahre versucht mit negativem Erfolg, sie tue es nicht mehr, und Frau Hillenbrand meint, der Garten eigne sich nicht für Gemüseanbau. In beiden Fällen fehlt wohl die Sachkenntnis, und die geht ja auch mir völlig ab. Lisbeth übrigens bis auf das Umgraben auch. Mutter rät ganz von dieser Idee ab und sagt, das müsse gelernt sein.

Sieh mal, wenn bei Carola das Gemüse so schön steht, wird es das bei mir noch lange nicht tun. Abgesehen davon, wo bekäme ich Samen her? Außerdem müssen alle Leute, die mehr wie 20 qm Gemüse und Kartoffeln ziehen, das angeben und kriegen keine Gemüsekarte und werden, wenn sie auch Kartoffeln ziehen, im Kartoffelverbrauch eingeschränkt.

Eine Randbemerkung! Wir bekommen jetzt pro Person eine Dose Gemüsekonserven zugeteilt, für die die linke Seite der Eierkarte abgestempelt werden musste. Ich hatte mir nichts dabei gedacht, bis mir Herr Schumacher aus der Goebenstraße sagte: 'Und die Leute, die Hühner ziehen,

können durch die Röhre gucken', und das stimmt auch, denn die kriegen ja keine Eierkarte. Voriges Jahr gab es eigene Konservenkarten, die dann jeder bekam. Die Reiszuteilung dieses Jahr gilt nur für Leute, die keine Kartoffeln eingekellert haben, voriges Jahr bekamen wir die trotz der Kartoffeln. Es wird also schon dafür gesorgt, dass man nicht zu viel hat.

Mutter geht es weiter mit Hilfe von Spritzen und Tabletten gut. Der Doktor meinte, sie solle noch lange im Krankenhaus bleiben, wenn sie es pekuniär durchhalten könne. Der Hunger von ihr ist unglaublich und eigentlich dann doch beruhigend. Nicht nur, dass Mutter auf jede Mahlzeit lauert, auch nachts muss sie jetzt essen und lässt sich dazu von der Nachtwache etwas Heißes zu trinken machen.

Nun weiß ich nicht, ob das wirklich Bedürfnis ist oder unbewusst durch den Gedanken ausgelöst, dass eine Nachtwache nur eine Küche auf dem Flur ist. Gestern hatte sie großen Appetit auf Fisch, durch die Erzählung ausgelöst, dass es bei Dreesen Fisch gibt. Ich kann ihr ja leider keinen verschaffen, und nun meinte sie, ob ich nicht zu Fritz Dreesen gehen wolle und ihn bitten, ein Stück Fisch für sie zu braten. Aber das kann ich nun wirklich nicht, wenn sie auch krank ist. Heute abend muss ich ihr nun Reibekuchen bringen, den kriegt sie auch. Gestern abend Brot mit gebratenen Zwiebeln, vor drei Tagen Sauerkraut.

Die Schwestern geben ihr schon die doppelte Portion Mittagessen, und Schwester Elise meinte, wenn jemand einen solch guten Appetit hat, stirbt er noch nicht. Vielleicht beruhigt Dich das. Und außerdem tut der Arzt alles mit Medikamenten und Spritzen, was er kann.

Ich wollte Dir gestern abend einen recht geruhigen Samstagabendbrief schreiben, da meldete der Drahtfunk Anflug starker Verbände im Raum Namur. Kurz darauf gab's auch Vollalarm, und es wurde gesagt, dass die Verbände den Raum zwischen Köln und Bonn anflögen. Da habe ich stattdessen die Kinder in den Keller bugsiert, nachher sind sie dann in Frankfurt gewesen. Über uns hingeflogen sind sie allerdings. Das ist das neueste Manöver, scheinbar eine Stadt anfliegen und dann kurz vorher Kehrtwendung auf ihr wirkliches Ziel nehmen. So bringen sie noch mehr durcheinander. Als entwarnt wurde, war es gegen halb zwölf, und wir haben auf den Schreck eine Tasse Kakao getrunken, um den Samstagabend doch noch ein bisschen gemütlich ausklingen zu lassen.

Und ich mache mich nun fertig fürs Pembaur-Konzert in der Redoute. Hast Du den Schnurrbart noch? Hoffentlich nicht!

Hast Du den Schnurrbart noch??? Hoffentlich nicht!!!! Besteht irgendeine Aussicht auf Steuerurlaub?

Ich würde an Deiner Stelle mal nach Walsrode fahren. Sie heisst Wolf. Gudrun ist in Bremen in einem Krankenhaus seit Januar.

Viele liebe Küsse Deine Lotti