Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 21. März 1944

den 21.3.44

Liebster Mann!

Heute ist Frühlingsanfang, und eigentlich müsste ja sowas gefeiert werden. Aber diesmal steht der Frühling ja wirklich nur im Kalender. Draußen stürmt und regnet es, und Schneeflocken sind auch dazwischen, so dass man am besten im Sessel neben dem Ofen sitzt, weil der auch schließlich mit dem Rücken zum Fenster steht, gegen das der Wind drückt.

Ich habe Dir mal ein ganzes Verzeichnis mich interessierender Bücher aufgeschrieben. Kriegst Du einige, ist es mir recht, kriegst Du alle, desto besser. Zum Schluss hat man doch dann immer noch ein Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk.

Harald, wie es Dir geht, geht es wohl allen. Wir sind alle pflastermüde, denn auch hier geht das Leben in immer gleichmäßigem Trott weiter. Wo ist die Aussicht auf Urlaub? Ich freue mich so sehr auf die ersten warmen Tage, damit ich mich auf den Balkon setzen kann. Wenn einem dann die Sonne ins Gesicht scheint, und man hört die Vögel dazu zwitschern, ist man wirklich für Augenblicke restlos und wunschlos glücklich. Dann spürt man das schöne Leben sehr intensiv.

Gestern nacht lag ich lange wach und konnte wieder mal nicht mit dem Gedanken fertig werden, wie schnell das Leben läuft. Vor zwanzig Jahren saßen wir an den Kurfürstenteichen, und das ist, als ob es gestern gewesen ist, und in zwanzig Jahren sind wir, wenn wir noch leben, alte Leute. Unsere schönsten Jahre! Und nun kommt unsere Ursel in die Schule, und nur noch Jürgen bleibt im Haus. Und der wird auch schon groß, dass er seine eigenen Wege geht und wenn er aufs Klo muss, schließt er sich ein, er ist also schon ein ganz selbständiger Junge geworden.

Und ich hatte in der Nacht solche Sehnsucht nach den beiden Kinderzimmern oben mit den kleinen, weißen Betten, in das man die Kinder sauber gewaschen legte. Jetzt wird bloß noch Jürgen so versorgt.

Die anderen sorgen schon teilweise für sich selber. Helga und Heidi gehen mir schon bis ans Kinn. Klaus, der voriges Jahr noch zu den drei Kleinen gehörte, was ich auch sehr empfand und genoss, muss 'nach Tisch auf den Moltkeplatz, denn da machen das erste und das zweite und das dritte Schuljahr Krieg gegeneinander´. Das habe ich ihm aber verboten. Im übrigen wächst er auch sehr. Und Jürgen sagt, wenn mir irgend etwas schief geht: "Verdammte Scheiße, nicht Mutti?"

Weißt Du, ich dachte, die Anmeldung Helgas für die Oberschule lasse ich, bis Du mal auf Urlaub kommst. Du kannst die Schulgeldfrage besser mit dem Direktor besprechen und ausserdem tust Du es vielleicht gern.

Mutter geht es weiter gut.

Gestern hatten wir nur Voralarm und ein einziges Flugzeug, das wir für einen Jäger hielten, das aber dann eine Bombe warf. Es scheint die übliche Ecke am Wasserwerk zu sein, denn das Wasser im zweiten Stock läuft nicht. Wir haben aber doch einen dollen Schreck gekriegt, weil wir uns in keiner Weise um den Alarm gekümmert hatten.

Auf Deinem heutigen Brief stand klar und deutlich der Poststempel Rotenburg in Hannover. Was nützt dann die Feldpostnummer?

Heute nachmittag gehe ich zum Kaffee zu Frau Sprock.

Ach, Harald, ich habe solche Sehnsucht nach Dir und möchte mit Dir zusammen den Krieg vergessen.

Eben: Riesenkrach zwischen den Mietern Schnorrbusch und Zumegen. Ich möchte auch die Verwaltung abgeben, denn ich sitze zwischen Beiden und Herr Schnorrbusch schikaniert und braucht mich als Sündenbock. Was hältst Du davon, wenn ich Holbach deswegen schreibe? Ich glaube nämlich, es entwickelt sich ein heftiger Krieg Zumegen/Schnorrbusch-Brock. Und all das auf Grund einer Erlaubnis, die ich Herrn Zumegen gegeben habe und die die beiden Anderen nicht dulden. Nun müsstest Du hier sein.

Viele liebe Küsse, Deine Lotti

Ich habe eigentlich den Eindruck, als ob Du einen oder zwei Briefe von mir nicht erhalten hast. Z.B. den mit der Aufforderung des Finanzamtes wegen der Steuererklärung erwähnst Du nicht und ich halte den doch für wichtig. Hast Du den Brief bekommen, in dem ich von Walter Hufstadts Gefangennahme erzählte?

Wie das mit Sallvinis wird, weiss der liebe Himmel. Ich habe schon versucht, mit Arenz zu reden, aber der hat nun mal, ohne die Räume vorher zu kennen, die Leute dorthin geschickt und die sind einverstanden mit den zimmern und nun stellt er, der froh ist, mal wieder Fliegerbeschädigte untergebracht zu haben, sich auf den Standpunkt, ich muss die Zimmer eben freimachen, wohin ich die Möbel tue, muss meine Sorge sein. Und das ist sie bestimmt. Salvinis wollten das Zimmer möbliert vermieten, aber ohne Betten und Matratzen. Nun bitte ich Dich andererseits, woher sollen Totalbeschädigte heute Matratzen nehmen? Ausserdem wollen sie 70.-Mk. dafür haben und das Wohnungsamt gestattet völlig möbliert mit allem Geschirr sozusagen höchstens 40.- Mk.

Ich muss mit der Hand weiterschreiben Meine Kinder hören im Radio ein Märchenspiel und da darf Mutti nicht mit der Schreibmaschine klappern.

Eben taucht die unverbesserliche Ulla auf. Helga hat ihr heimlich ein Butterbrot mit dick Marmelade geschmiert. Wenn sie wieder bricht, haue ich beide durch.

Unser Drahtfunk klappt sehr schön. Jedes einzelne Flugzeug bekommt man gemeldet. Manchmal ist es auch schon vorher da. Aber Musik hat man während der Zeit nicht.

Mittwoch sind wir bei Frau Sprock zum Kaffee eingeladen. Freitag kriege ich neue Dauerwellen, hoffentlich ohne Alarm, damit ich nicht mit halbfertigem Kopf in den Keller muss. Klavierabend von Pembaur in der Redoute bestellt.

Von Schultzens hören wir nichts. Sie schweigen sich in sieben Sprachen aus. Hansi möchte immer noch die Mu haben, aber ich kann sie jetzt bei Mutters Krankheit nicht gut entbehren. Sollte Mutter wieder nach Hause kommen, werde ich wohl den Rest ihres Lebens bei ihr schlafen müssen, denn sie hat besonders nachts viel Atemnot und braucht dann jemand, der um sie ist. Ich habe sie diesmal auch ungern abgegeben, so gerne pflege ich sie.

Bei Ulla macht sich das Butterbrot leider schon bemerkbar!

Das Paket von Carels ist noch nicht da. Und wir freuen uns schon so darauf.

1000 liebe Küsse.

Deine Lotti
und alle fünf.