Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 26. März 1944

den 26.3.44

Mein lieber Mann!

Heute, am Sonntag, bekam ich zwei Briefe von Dir. Schreib nur immer weiter, auch wenn es Zettel sind und auch, wenn Du aus Zeit- und Ruhemangel keine, wie Du meinst, richtigen Briefe schreiben kannst. Wenn ich bloß von Dir höre. Aber endlich möchte ich doch mal einen Brief bekommen, in dem Du schreibst, dass Du Urlaub bekommst.

Harald, ich finde, das muss endlich sein. Findest Du nicht auch? Und es ist so vieles, für das ich Dich brauche. Die Steuererklärung, die Angelegenheit mit der Salvinischen Wohnung und die verschiedenen Schwierigkeiten, die damit zusammenhängen und bei denen ich bestimmt Korks mache. Dann besonders, dass Mutter eine Freude hat, und die Überlegung, was wir mit den Krankenkassen machen, wenn sie in Kürze nicht mehr zahlen.

Ich habe jetzt einen Fragebogen für die Deutsche Krankenversicherung ausfüllen müssen, und das ist ja so das erste Zeichen, dass sie die Zahlungen bald einstellen. Wie lange die Barmenia zahlt, weiß ich nicht. Aus den Statuten werde ich nicht richtig schlau, und außerdem sind sie sehr alt. Ich sprach gestern mit dem Arzt, und der meinte, wenn wir sie nach Hause holen, könnte das ihr sofortiger Tod sein. Also kommt selbstverständlich das dann nicht mehr in Frage. Besser wird Mutter nicht mehr, aber das Leben im Krankenhaus kann mit Spritzen und intensivster Pflege noch viele Monate dauern.

Vor diese Frage gestellt, entscheide ich mich selbstverständlich nur für das Krankenhaus, aber wo nehme ich im Ernstfall die Gelder her? Ein Monat kostet durchschnittlich 500,- Mk. Das macht mir viel Sorgen, aber fest steht, dass Mutter auf jeden Fall im Krankenhaus bleibt, besonders, weil der Arzt mir sagte, dass Mutters Zustand nicht mehr so wäre, dass sie in einem Privathaus bleiben könnte. Sie ist doch sehr krank. Und das, meine ich, wäre doch ein Grund, dass Du Urlaub kriegen müsstest. Denn der Arzt sagte mir gestern, dass er, auch wenn sie den guten Appetit hat, ihr doch nicht mehr als höchstens zwei bis drei Monate gibt. Der Appetit habe gar nichts zu sagen.

Wiederum habe ich von Zumegen gehört, dass seine Mutter fünf Jahre mit Wassersucht gelegen hat und jede Woche einen Eimer Wasser abgezapft bekommen habe, und Frau Eulers Mutter hat auch fünf Jahre so gelegen wie Mutter und bekam Strophantinspritzen, bekam dadurch einen Gehirnschlag und lebt, wenn auch gelähmt, heute noch und spürt ihr Herz gar nicht mehr. Es gibt also dabei die unberechenbarsten Fälle. Das bestätigte mir auch die Oberin, Schwester Helene.

Das, was mir Sorgen macht, ich muss überlegen, wie ich die Mutter in ca. sechs Wochen unterhalten soll. Die Barmenia zahlte wohl bis jetzt das Krankenhaus, aber die Arztrechnung vom letzten Mal in Höhe von 120,- Mk. (eigentlich 187.- Mk aber er hat sie ermässigt) muss auch noch bezahlt werden, weil die Kasse mit 7,50 Mk. Kranken-

hauskosten täglich ihre Verpflichtungen erfüllt hat. Am Ersten hat nun Mutter mit ihrem jetzigen Geld 150.- Mk. auf der Kasse und zahlt dann, aber bis dahin ist sie ja schon wieder über vier Wochen im Krankenhaus und zumindest sind wieder 80.- Mk. Arztkosten fällig, auch wenn die Kasse das Krankenhaus noch zahlen sollte. Und wenn sie es nicht tun sollte, wo nehme ich bloß das Geld her?

Ich weiß nicht, ob es Zweck hat, Dir mit diesen Sorgen zu kommen, aber ich weiß keinen Ausweg aus all diesen Berechnungen. Ich weiß nur das eine, Mutter wird auf jeden Fall im Krankenhaus gelassen, auch, wenn ich es mir vorher anders dachte und die besten Vorsätze hatte, sie zu pflegen und auch die Nachtwache und alles zu machen. Aber weil beide, Oberschwester und Arzt, mir nüchtern erklärten, dass ein Aufenthalt bei uns zu Hause ihr sofortiger Tod sein könnte, scheidet dieser Plan natürlich sofort aus. Ich habe beiden auch gesagt, dass ich nicht imstande wäre, die monatelangen Kosten zu tragen, auch wenn ich es noch so gerne wollte, weil ich ganz einfach das Geld nicht hätte. Drauf wussten sie aus dieser Lage genau so wenig einen Ausweg wie ich. Schwester Oberin meinte, ich solle mich auf Gott verlassen, der fände schon den richtigen Weg und bürdete mir nicht mehr auf, als ich tragen könnte, der Arzt zuckte bloß die Schultern.

Sieh mal, Harald, wenn Du hier wärest, könnten wir uns doch zusammen überlegen, wie wir das mit den Kosten machen, denn auch für Mutter ist es eine große Sorge, obgleich ich sie nicht damit belaste und ihr immer nur sage, das wird schon gemacht, ich schaffe das schon. Dann legt sie sich beruhigt wieder in die Kissen und meint, ich könne wahrscheinlich zaubern. Und wenn ich wirklich vom Familienunterhalt monatlich 150.- Mk opfern würde, was nur möglich ist, wenn ich mich selber in die Tinte reite, so ist damit noch nicht die Hälfte der monatlichen Krankenhauskosten bezahlt. Aber das sage ich ihr nicht.

Nun ist Nachmittag, und ich war wieder bei Mutter - Heute geht es ihr nicht besonders gut, sie hat Atemnot und bekommt Pantopon dagegen, ein Opiumpräparat. So wechselt es immer zwischen gut und schlecht hin und her.

Versuche doch, einen Urlaub, nach Möglichkeit den Jahresurlaub, zu bekommen mit Hinweis darauf, dass der Arzt mir gesagt hat, länger wie zwei Monate gibt er ihr nicht mehr. Was das für eine große Freude für Mutter wäre. Oder ist ein Attest nötig?

Dieser Brief wird in Absätzen fertig, und Du kommst durch seine Länge vielleicht nachher nicht mehr durch. Ich habe heute Niemand erwischen können, der weiss, in welchem Krankenhaus sie ist und da der Brief erst morgen fortgeht, Sonntags wird nur noch morgens geleert, kriegst Du ihn bis Dienstag ja sowieso nicht mehr.

Draußen ist endlich milde, weiche Luft, so dass der Frühling vielleicht doch noch kommt. Und kein Alarm gestern und heute. Es ist nicht zu glauben. Im übrigen gibt es in Briefen, Unterhaltungen, Einladungen nur noch ein Thema: Die Bomben. Ich glaube, am besten erwähnt man es überhaupt nicht mehr, so abgeklappert ist es schon. Aber andererseits bestimmt es ja unser ganzes Dasein, und davon hängt es ab, ob wir morgen überhaupt noch da sind.

Ich habe jetzt ein paarmal den Versuch gemacht, mit den Kindern ins Päda zu laufen. Was meinst Du, ist es sicherer oder nicht? Schützen die sieben Betondecken, oder hat man den Steinbaukasten dann über sich und kann überhaupt nicht mehr heraus? Schreib mal Deine Meinung.

Ich ging nicht jedes Mal hin, wie z.B. vorgestern: Als zuerst der Drahtfunk starke Verbände bei Aachen meldete, dann dass die Spitze der starken Verbände Koblenz erreicht hätten und südöstlich weiterflögen, habe ich weitergeputzt; als es dann hieß, bei Koblenz lösten sich einige Geschwader und flögen nördlich den Raum Bonn an, habe ich mir alle Kinder geschnappt und bin rüber. Hinterher waren sie dann in Köln gewesen. Schön ist auf jeden Fall im Päda, dass man weder die Flieger noch das Schießen hört. Also, was meinst Du?

Im übrigen sitzen wir recht viel in unserem kalten Keller, und manchmal bleibt nicht Zeit, die Kinder aus den Betten angezogen nach unten zu bringen, dann haben sie nur einen notdürftigen Umhang und bibbern; ich nehme sie ungern schon früh aus ihrem Schlaf und nur, wenn es dringend notwendig ist. Und der Keller ist doch sehr kalt. Im übrigen wartet man dauernd auf die Sirene und hat keinen Genuss von dieser zweitägigen Pause.

Gleich wollen Omi und ich etwas an die Luft. Ach, könnte ich doch heute mit Dir am Rhein entlang bis Mehlem gehen. Draußen ist alles so sonnig und verheißungsvoll, und ich kann höchstens mit Omi - und Du mit Wilhelm Lichtschlag oder einem Blitzmädchen spazieren gehen.

Übrigens soll ich Dich von Liebe Lenni grüssen. Sie war gestern abend zum Essen bei mir, und es war sehr nett und gemütlich. Allerdings stopften wir hinterher beim Bier Strümpfe. Liebe Lenni hatte sich welche mitgebracht, und als sie dann meinen Stopfkorb sah, meinte sie, wenn sie den hätte, schösse sie sich eine Kugel durch den Kopf. Mich regt es nicht mehr auf. Ich weiß, dass ich ihn doch nicht leer bekomme, der Ehrgeiz ist bei mir erloschen. Ich mache so viel daran, wie ich fertigkriege.

Und nun mache ich Schluss. Helga scheint wieder mal schlechter Laune zu werden, ich muss also eingreifen. Ach, komm doch bald, ich meine, es müsste jetzt bald klappen.

Die Kiste aus Jever ist angekommen. Wir sind sehr froh.

1000 liebe Küsse, Deine Lotti