Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 6. April 1944

den 6.4.44

Liebster Mann!

Ich habe so das dumme Gefühl, dass aus dem Urlaub doch nichts wird. Der wehrpolitische Rundblick im 'Westdeutschen Beobachter' eröffnet für die nächste Zeit ja allerhand Aussichten. Generalsturm der Sowjets, Neuaufstellung der Amerikaner und Engländer in Italien mit der Aussicht, vielleicht auch Landungen bei Marseille und auf dem Balkan vorzunehmen, und als Hauptsache dann die Invasion im Westen, für die 6 Millionen Mann parat stehen. Und dann wird angedeutet, dass es höchstwahrscheinlich Mitte Mai im Fluss ist. Es scheint diesmal also auf drei Seiten zugleich losgeschlagen zu werden.

Wende ich mich also unseren kleinen häuslichen Dingen zu, die ich förmlich genieße, vielleicht, weil das Glück nicht mehr lange dauert. Denn die paar Tage ohne großen Alarm werden ja nicht andauern.

Ich lege Dir hier 20,- Mk. bei, schreibe bitte, ob Du sie bekommen hast. Auf der anderen Seite zeichne ich Dir im Grundriss mal die Kinderzimmer, damit Du eine Ahnung hast.

[Zeichnung]

 

Auf jeden Fall wirken die eigenen Zimmer auf den Ordnungssinn der Trabanten. Die Mädchen sorgen für Blumen in ihrem Zimmer und dulden, mit kleinen Ausnahmen, keine Unordnung mehr. Jeder macht seine Schulaufgaben in Ruhe in 'seinem Zimmer' und sorgt für seine Sachen. Helga fängt an, Strümpfe zu stopfen und setzt sich mit ihrem Handarbeitskasten in die Ruhe ihres Zimmers. Und bei Sonnenschein trinken die Mu und ich wieder auf dem Balkon Kaffee. Es ist also sehr behaglich. Den Film: 'Gefährlicher Frühling' habe ich auch gesehen. Er war sehr nett.

Morgen ist eine Gedächtnisfeier für Martin Ullrich in der Redoute, geleitet von Dr. A. Fischer, dem früheren Bonner Intendanten. Ich werde wohl hingehen. Die Karte habe ich wenigstens. Nächsten Sonntag ist ein Tanznachmittag einer für mich noch unbekannten Tänzerin. Aber soweit kann man nicht vordisponieren.

Irgendwann wird ja wohl wieder ein Brief von Dir kommen. Ich kann mir so gar keine Vorstellung von Deinem Leben und Deiner Umgebung augenblicklich machen. In Jever war das schöner.

Helga hat heute ihren letzten Prüfungstag. Im Laufe der nächsten Woche werden die Ergebnisse bekanntgegeben. Klaus kommt eben aus der Schule. Ich höre ihn lachen. Und dann essen wir Deine Erbsensuppe wie gestern. Wir hatten der Einfachheit halber für zweimal gekocht. Mit Gemüse sieht es natürlich noch mager aus. Wir haben aber jetzt Konserven und Sauerkraut zugeteilt bekommen.

Du hast ein Schreiben vom Wohnungsamt bekommen, dass zwei Mansarden beschlagnahmt sind für Fliegergeschädigte. Ich habe schon mit Arenz gesprochen. Die Mu hat angeblich kein Recht auf ein Wohn- und Schlafzimmer, und in den nächsten 15 bis 20 Jahren brauche sie sich nicht auf eine Wohnung für sich zu spitzen. Wie passt das dazu, dass 'drei Jahre nach dem Krieg alle Städte wieder aufgebaut sind!' Und wo soll ich mit der Mu ihren Möbeln hin? Und dann stell Dir evtl. zwei ältere Leute mit Küchenbenutzung in unserem lebhaften Haus vor. Das kann lieblich werden. Für uns käme

höchstens in Frage, dass man die Zimmer als Schlafgelegenheit abgibt. Unmöbliert natürlich, denn jetzt habe ich nur noch die Möbel, die ich brauche.

Heute Abend gehe ich mit Toni Hillenbrand zu Frau Sprock. Jürgen fährt mit Lisbeth nach Zissendorf und die anderen Kinder sind hoffentlich artig.

Ich denke immer an Deinen Urlaub und ob er etwas wird. Ich werde auch nicht eher Ruhe haben, bis es darüber eine endgültige Entscheidung gibt. Solange kreisen die Gedanken um diesen Wunsch. Und darüber könnte ich jetzt ganze Seiten schreiben       Deine Lotti.