Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 10. Juli 1944

den 10.7.44

Mein lieber, lieber Mann!

Es ist kühl und frisch heute, und wo magst Du sein? Bist Du rechts oder links der Grenze? Ich denke viel an Dich, eigentlich dauernd. Ich habe Dich ja so lieb. Ich erlebe die Tage immer wieder nach. Mir ist die Trennung dieses Mal sehr schwer geworden. Jetzt habe ich wirklich das Gefühl der Trennung, nun, da ich Dich auch nicht mehr am Telefon sprechen kann. Manchmal stand ich am Apparat und dachte: Du brauchst nur den Hörer abzunehmen, und Du bist mit Harald zusammen. -

Die Kinder stürzten nach Deinem Abschied in das verlassene Esszimmer und auf die Schüssel mit den Käseschnitten und Radieschen. Es wurde nichts gerettet. – Heute habe ich die Urkunden zu Knur

gebracht. Ich hatte Ursel und Jürgen sauber und schön in die Stadt mitgenommen. In solchen Momenten können sie wirklich wie gepflegte Kinder aussehen. Eben kommen sie übrigens mit Indianergeheul aus dem Kindergarten angestürzt. Sie haben soooo Hunger.

den 11.7.44

Eben habe ich den Brief an Carels abgeschickt. Heute morgen habe ich in der Wurzerstraße die Mietverträge gemacht. 24,- Mk.! und das nach langem Kampf mit Inspektor Bahn, der 19,- bis 20.- Mk. genehmigen wollte, aber in den 24.- ist Wassergeld usw. drin. Und ich habe die Treppenhausbeleuchtung einkassiert vom letzten Jahr. Ich kann mich also mit gutem Gewissen an Deinen Brief setzen.

Immer wieder durchfährt mich der Gedanke: Wo mag er jetzt sein? Ich habe so gar keinen Anhalt. Ich fahre wohl mit dem Finger

über die Karte und finde dabei auch Chartres, über das Ihr vielleicht kommt und wobei Du dann bestimmt auch an Kroeber denkst.

Gestern nachmittag war ich mit der Mu bei Hüllens wegen der Kartoffeln. Sie sind uns zugesagt, auch Möhren. Gestern abend habe ich dann noch Rhabarber und Kirschen eingemacht, die ich durch Mariechen Pöll bezogen habe (irgendwie kriegt man seinen Kram doch zusammen, und hungern brauchten wir bisher nicht), und als ich dann im Bett lag, gab es nach langer Zeit Vollalarm.

Ich hatte eigentlich gedacht, ich wollte Dir einen tagebuchartigen Brief schreiben, bis einer von Dir kommt, aber ich schicke doch lieber immer nur zwei Seiten ab, damit nicht alles auf einmal verlorengeht.

Solltest Du wirklich etwas schicken können, so habe ich nötig: Strümpfe, Größe 9 und einen warmen Pullover. Alles andere ist schön und erfreulich, aber nicht so nötig. Und von diesen beiden Dingen sind es wieder die Strümpfe, die am nötigsten sind. Wie das im Winter werden soll, weiß ich wirklich nicht. Sehr lieb sind mir auch dicke gestrickte Kniestrümpfe, wie Jungens und Herren sie tragen, oder Dirndl, weil man die im Winter jetzt über den seidenen trägt, was 1. stabil, 2. warm und 3. modern ist. Außerdem sieht man die vielen genähten Laufmaschen nicht mehr. Vorigen Winter trug ich Deine Sportstrümpfe. Bloß der Fuß war so groß.

Lieber, lieber Mann, ich gebe Dir viele, liebe Küsse. Ich lebe noch von Deinem Hiersein, und trotzdem träume ich von dem Glücksumstand eines Urlaubes, wenn er auch aussichtslos ist.

Deine Lotti