Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 29. August 1944

den 29.8.44

Mein lieber Mann!

Hier ist der versprochene Brief, den ich sofort schreiben sollte. Du wirst jetzt wohl schon rollen, nach Finsterwalde, das auf der Strecke Kottbus-Kalau liegt. Was ist das für ne Gegend. Ich sagte schon, das sind Begriffe.

Dann könnte ich Dir eine Seite lang erzählen, dass ich Heimweh und Sehnsucht nach Dir habe und dass, während meine Kinder heute morgen um mich rumturnen, ich in Gedanken immer bei Dir war und mich mit Dir unterhielt und Dir viel erzählte. So abwesend bin ich bei Dir nicht, denn dann ist immer volle Gegenwart da. Aber ich will Dir in der Hauptsache einen Tatsachenbericht geben:

1. hat Hansi am 25.8. eine kleine Ulrike bekommen. Sie schrieb am 23. noch einen glücklichen Brief, weil Ernst für drei Tage da war, um ihre Sachen zu ordnen. Nun ist er nach Warthbrücken gefahren, schrieb sie weiter. Ob er dort noch von der Geburt erfahren hatte oder ob er schon auf dem Rückweg zur Front war, weiß ich nicht. Was wäre es doch nett gewesen, wenn er es in Warthbrücken noch erfahren hätte und umkehren könnte.

2. war Dein Kamerad Gunkel hier und wollte mich besuchen. Er war zur Beerdigung eines Wittkuhn abkommandiert. Am Grabe wurde dann bekanntgegeben, dass auch ein anderer Sohn gefallen ist.

3. ist Fritz Dreesen gestorben.

4. hat Thea eine ausführliche Schilderung von dem Stettiner Terrorangriff gemacht. Die ganze Gegend am Hafen einschließlich sämtlicher Fritzenhäuser ist hin. Noch nicht einmal den Inhalt der Panzerschränke fand man wieder.

5. kriegen wir diese Woche wieder nur pro Kopf ein Pfund Kartoffeln zugeteilt und wissen nun nicht, wovon wir mittags leben sollen.

6. sind Peltgen, Houben und solche Leute zum Grenzschutz einberufen.

Der Zug war gestern abend bis Köln so leer, wie ich ihn bestiegen habe, dann füllte er sich etwas. Den Gegenzug, mit dem ich damals kam, traf ich in Düsseldorf. Er war wieder märchenhaft voll. Was mag wohl der Grund sein für die ständige Überbesetzung in einer Richtung?

Ich habe mal eben auf der Karte die Luftlinie Le Mans-Troyes gemessen, sie ist so weit wie Paris-Eifel. Ich lege Dir das Bändchen bei.

War es nicht sehr schön? Viele liebe Küsse, mein Mann! Deine Lotti

Die Omi (Mu) gefällt mir nicht richtig. Sie klagt zum ersten Mal über Schwindel.