Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 1. September 1944

den 1.9.44

Mein lieber, lieber Mann!

Bis der Brief fertig ist, dürfen die Kinder aufbleiben. Das Paket ist nämlich angekommen und darin war ein reizendes Dorf mit allem, was sich denken lässt, Häusern, Autos, Laternen, Schäferwagen, Postkutschen, Wegweiser, Brücken, Tieren, Leuten usw. Ganz reizend. Ich habe es ihnen sofort geschenkt, denn wer weiß, was Weihnachten ist, besonders unter dem Eindruck des heutigen Wehrmachtberichtes: Der Feind hat auf breiter Front den Argonnerwald durchstoßen, und Verdun ist gefallen. Ich bitte Dich, wo soll das hin? Uns allen sitzt es im Magen, und ich bitte Dich herzlich, sollte Dir irgendetwas einfallen, was in dieser Zeit wertvoll als Rat wäre, schreibe es. Denn der Wehrmachtbericht hinkt ja immer hinterher, und wo mögen sie heute sein? Die ersten Flüchtlinge aus Luxemburg, das ganz geräumt worden ist, kamen heute hier an.

Wir haben alle vor hierzubleiben, wenn wir nicht zwangsevakuiert werden, was sehr wahrscheinlich möglich sein kann, nach dem, was man so hört. Könnte ich mit den Kindern nach Finsterwalde kommen oder soll ich dann nach Hessen gehen? Aber wohin da? Wir sind ohne Lisbeth sieben Personen.

Und andererseits sagen die Leute wieder, hierbleiben ist gut und schön, und vor Artilleriegeschossen ist man ja im Keller relativ sicher, aber der Bombenteppich, der wohl rheinauf, rheinab vorher gelegt wird, kann man den überstehen? Und Kinder gehören nun mal nicht in den Krieg. Ich stehe unter dem Eindruck der Nachricht und sorge mich sehr. Denn wenn das so wahnsinnig schnell von Paris bis Verdun geht, so muss man sich langsam überlegen, was man für alle Fälle packt. Vielleicht kommt ja am Westwall V2 noch dazwischen, aber disponieren muss man. Bitte, bitte, lieber Harald, kannst Du einen guten Rat geben,

so tue es.

Helgas Geburtstag werde ich so schön wie möglich machen. Ich habe sogar einen Geburtstagstisch zusammengezaubert, und sie ist vorläufig der festen Meinung, es gebe diesmal keinen, und gerade deshalb wird er Sonntagmorgen, wenn sie die Augen aufmacht, vor ihrem Bett stehen. Vier Kuchen backe ich, und dann kriegt sie ein silbernes Medaillon, das ich als Kind getragen habe, mit dem Bild von Pappi und Mammi drin, einen Block Zeichenpapier, einen B.d.M.-Rock, ein dickes Notizbuch mit Karos und Linien, und morgen kriege ich vielleicht ein Buch bei Linz, und dann soll sie noch ein Winterkleid kriegen, aber bis jetzt konnte ich weder in Bonn noch in Godesberg eins auftreiben, aber dann wird es ihr wenigstens versprochen. Der Rock wird ihr wohl die größte Freude machen, denn dann ist die Uniform vollständig.

Wann kommt Dein erster Brief? Ich möchte heute abend wieder so wie in Asseln liegen, auf der einen Seite Du, auf der anderen die Wand, so dass nichts an mich dran kann.

Morgen rufe ich Spinat an. Hinterher kann man sehen, wo das Geld bleibt. Wie kann ich kontrollieren, ob er auch den Preis gibt, den er für die Sachen bekommen hat? Ich bin auf einmal misstrauisch geworden.

Nimm mich in den Arm. Ich habe Dich so lieb und ich bin so froh über die acht Tage.

Deine Lotti.

Hansi schreibt, dass die Geburt schnell und leicht gegangen ist. Ernst war noch einmal auf einen Tag da und hat seine Ulrike Luise gesehen. Ob er Hansi unter diesen Aspekten kommen lässt, ist fraglich.