Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 9. September 1944

den 9.9.44

Mein lieber Mann!

Seit heute morgen Tiefflieger, Kampfverbände im Raum Köln, Kampfverbände im Raum Düren. Es ist, wie man es von Frankreich hörte. Kein Kind ist zu Hause. Sie sind zu leichtsinnig, weil bis jetzt hier zu wenig passiert ist. Wieder werden neue Kampfverbände gemeldet. Und alles treibt sich zwischen Aachen und dem Rhein rum.

Augenblicklich packe ich. Die Wolldecken habe ich mit Mutters Riemen zusammengeschnürt (wenn sie geahnt hätte, wofür er nochmal gebraucht würde). Einen kleinen Koffer richte ich ein für Dinge des täglichen Bedarfs, Waschlappen, Zahnbürste Hansaplast, Verbandstoff, Bürste, und dahinein kommt mein Schmuck und die wichtigsten Papiere.

Es wird Ernst. Das merkt man. Wieder

werden neue Kampfverbände gemeldet, alle paar Minuten, und dazwischen Tiefflieger. Und Lisbeth putzt das Esszimmer mit einer Gründlichkeit, als: gälte es ihr Leben. Dabei wäre es mir lieber, sie hülfe mir bei meinen Angelegenheiten. Aber sie will auf diese Weise vor sich selber das Ganze verneinen, weil sie Angst hat. Eben kam irgendwo eine Bombe. Die Fenster rissen ordentlich, und Lisbeth hat einen Schrei ausgestoßen. Aber sie putzt weiter.

Abends

Ich komme zu Dir und denke an unsere schönen Stunden. Weil ich nicht ganz auf der Höhe bin, zerrt heute besonders alles an mir, Zukunft, Kinder und alles. Und dazu die ewigen Tiefflieger. Man kann bald sagen, wir haben öfter am Tag mal keinen Alarm. Wie mag es

erst am Westwall sein?

Da geht die Sirene schon wieder! Um viertel nach sieben. Jäger und Bomber. Und alles wird beschossen. Dazu warnt der Drahtfunk vor dem Aufheben von Päckchen und Füllfederhaltern. Alle Eltern sollen alle Kinder warnen. Es sind Explosivgegenstände. Und auf der Landstraße stauen sich die Wagen, von denen keiner zum andern gehört. Wo sind die Offiziere? Ich sehe immer nur Mannschaften, die auf den. Lastwagen hocken. Der 'Westdeutsche Beobachter' schreibt: Die rheinische Bevölkerung unterscheidet genau die aus dem Kampf kommenden, einer Auffrischung bedürfenden Einheiten von den sich auf den Landstraßen rumtreibenden Elementen, die die Nerven verloren haben.

Eben war ich mit Herrn Arndt, Strenger und Rehborn zusammen. Rehborn ist der Schwiegervater des Leibarztes von Hitler (Morell) und wohnt bei Kauls. Gegen die'Elemente' auf den Straßen wird eingeschritten. Herr Arndt sagte, dass auf der Beueler Brücke alle Wagen kontrolliert würden und die meisten

festgenommen würden, Herr Rehborn ist aber ganz sicher, dass in acht bis zehn Tagen eine Wendung kommt!

Das Problem Godesburgbunker haben wir auch erörtert, Herr Arndt sagte, dass er jetzt schon von Altgodesbergern überfüllt sei und dass es keinen Zweck habe, dorthin zu gehen. Wir kämen doch nicht mehr hinein. Es ist schon so, dass im Villenviertel nichts Passendes ist. Für den Wald (eben kommt wieder Alarm, es ist 21 Uhr) sind die Nächte zu kühl, wenigstens für die Kinder, die sich alle den Tod holen würden. Ich weiß wirklich nicht, wo ich hinsoll, aber keine weiß es.

Sei in Gedanken bei uns. Wir gehen hier schweren Tagen entgegen. Ich bin so froh, dass ich die Tage in Dortmund gehabt habe und dass Du so lieb warst. Ich habe Dich so lieb.

Moeckel und Siefken müssen zum Schippen weg. Wir haben hier bald keine Männer mehr.

Viele liebe Küsse Deine Lotti.