Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 13. September 1944

den 13.9.44

Mein lieber Mann,

eben wurde durch den Drahtfunk gesagt, dass die deutsche Wehrmacht zur Reichsverteidigung die Stellungen im Westwall bezogen hätte und dass deshalb einige Orte von der Bevölkerung geräumt werden müssten. Die Bevölkerung dieser Orte würde von den Kreisleitern usw. benachrichtigt. Alle anderen Zivilpersonen gehen weiter ihrer Arbeit nach. Jetzt beginnt also der Kampf um den Westwall. Den ganzen Morgen sind auch schon Tiefflieger und Bomber zwischen Aachen und St. Vith zugange. Hier hatten wir heute noch keine, aber gestern war ein Tiefflieger und Kampfverbändespiel in Westdeutschland zugange wie noch nie. Mich regen die Tiefflieger nur deshalb auf, weil ich jedes Mal meine fünf Kücken zusammen holen muss und weil ich ewig deshalb bei jedem Motorengeräusch sehen muss, ob auch alle da sind. Der längste Alarm dauerte gestern von 9 ¼ bi 3 Uhr Nachmittags. Anschliessend kamen dann einige kürzere Alarme bis in die Nacht. Und immer Tiefflieger.

Ein Köfferchen mit den nötigsten Dingen als da sind Waschlappen, Zahnbürste, Verbandzeuge usw. habe ich gepackt. Fräulein Kaul sagte vorhin und daran habe ich nicht gedacht, man muss jetzt ja auch mit Fallschirmverbänden und Luftlandetruppen rechnen. Die Bonner Rheinbrücke hat an den Seiten schon spanische Reiter gestapelt. Vorgestern ist der Zug nach Hennef, Lisbeth fuhr mit dem nächsten, ganz fürchterlich zusammengeschossen worden. Ebenso haben sie am Sonntag die Mehlemer Fähre angegriffen und in Rüngsdorf sind zwei Personen getroffen worden. Ebenso hatten sie Bahn und Zug zwischen Bonn und Godesberg zwischengenommen. (Eben werden wieder Tiefflieger im Raum Bonn und südlich Bonn gemeldet.)

Jürgen hat gestern die riesige Axt vom Speicher geschleppt, weil er uns und Fräulein Kaul damit gegen die Feinde verteidigen will. Ursel liegt mit einer Halsentzündung im Bett, aber ich werde krank darüber, das Blag im Bett zu halten.

Es ist doch komisch, dass ich nach Dortmund fuhr, einzig, weil Du an die Front kommen solltest und weil ich Dich vorher noch mal sehen wollte und ich weiss noch, welche Sorge ich mir machte und nun bis Du im Land und die Front kommt zu uns. Und ich denke mir, dass das hier im Westen ein harter Kampf werden wird. Wir werden alles daran setzen, um keinen herein zu lassen und die Feinde werden dementsprechend alles daran setzen, um den Durchbruch zu erzwingen. Helga sagte gestern, eigentlich müsste der Pappi jetzt Zivil tragen und wir müssten alle Uniformen bekommen.

 

 

Auf jeden Fall ist hier im Westen das Tieffliegerspiel genau wie seinerzeit in Frankreich zu Gange. Aber die stören mich nur, wenn ich die Kinder draussen weiss, sonst sind sie ja ungefährlich, wenn man hinter einer dicken Wand sitzt. Da aber ab neun Uhr morgens das Spiel den ganzen Tag dauert, kann man naturgemäss die Kinder nicht im Haus halten und am Sonntag habe ich gemerkt, wie schnell so ein Kerl da ist. Wieder wird gesagt, dass die deutsche Wehrmacht zur Reichsverteidigung die Westwallstellungen bezogen hat usw.

Abends

Heute Nachmittag besuchte uns plötzlich Vetter Hans Hechtle, der in einem Auffanglager bei Bonn ist und aus Ostende kommt. Es ist furchtbar, was er alles erzählt. Und wi soll das enden?

Mit der Post kamen drei Briefe von Dir und ich wundere mich, dass Du noch keine Post hast, trotzdem ich Lgpa. Berlin, Dresden und frankiert geschrieben habe.

Die Leute erzählen, dass der Artilleriebeschuss am Westwall eingesetzt hat, nun werden wir uns in den nächsten Tagen ja auf entsprechende Bombardements gefasst machen müssen. Bitte, schreibe, so oft Du kannst und denke viel an uns, denn wir werden wohl hier allerlei mitmachen müssen. Der Wehrmachtsbericht hinkt ja in seiner Nachrichtengebung immer hinten nach. Ich glaube, Ihr in Finsterwalde wisst von der Wirklichkeit nicht viel.

Schreibe mir sofort, wenn Du den ersten Brief von mir bekommen hast. Die Post von Dir bekomme ich auf jeden Fall bis jetzt. Ich habe so Sehnsucht nach Dir und ich habe Dich so lieb. Ich muss es Dir jetzt in jedem Brief versichern, irgendeinen wirst Du ja wohl bekommen.

Ich will Dir morgen das Paket zurecht machen, aber ich habe gehört, dass Pakete jetzt vier Wochen unterwegs sind.

Zur Evakuierung ist amtlich noch nichts unternommen worden, bis auf das, was durch den Drahtfunk heute gegeben ist und die Orte werden, wie ich gehört habe, dann innerhalb einer Stunde evakuiert.

Hansi steckt noch in Warthbrücken und weiss nicht wohin. Hierhin kann ich sie jetzt auf keinen Fall mehr nehmen.

100000 liebe Grüsse und Küsse

Deine Lotti.