Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 14. September 1944

den 14.9.44

Mein lieber Mann!

Ich gebe diesen Brief einer Bekannten mit, die ihn auf der Reise in den Briefkasten stecken wird. Ich begreife nicht, dass Du keine Post von mir bekommst. Ich schreibe doch beinahe täglich und die letzte Zeit nur an Postfach. Und Deine Briefe kommen mir immer wie Idyllen vor. Man merkt, dass Ihr mitten in Deutschland seid. Uns rückt der Krieg auf die Pelle, und wir haben ein Tieffliegerspiel, das aller Ehren wert ist. Bei jedem Motorengeräusch starrt auf den Straßen alles in die Höhe, bereit, in Deckung zu gehen.

Mittlerweile wird schon im Hohen Venn gekämpft, Aachen ist geräumt, Düren fängt an, und

die Landstraßen sind voller Soldatenautos, die einzeln von der Front kommen. In diese Leute ist ja wohl nicht mehr die Kampfmoral hineinzubekommen, und wenn nicht neue Divisionen am Westwall stehen, weiß ich nicht, was das wird. Und die Soldaten sagen wiederum, ihre Offiziere seien zuerst ausgerissen.

Wir haben unser Fett und unsere Butter bis zum 20. Oktober holen müssen, bevor die neue Zuteilungsperiode beginnt. Ebenso die Nährmittel. Das lässt darauf schließen, dass man mit allem rechnet und die Bevölkerung wenigstens für vier Wochen versorgen will. Zum Schippen ist alles weg, alle Pädalehrer auch.

Das Paket ist fertig, wann es ankommt, weiß der Himmel. Ich habe es nur einfach schicken können. Totaler Krieg.

Unsere Gedanken sind nur auf die nächste Zeit gerichtet, und wenn man Bilder aus Kämpfen in französischen Städten sieht, betrachtet man sie mit anderen Gefühlen als früher.

Hans Hechtle war einen Nachmittag hier. Es war erschütternd, was er erzählte. Er sagte, die Führung, die Offiziere hätten nicht standgehalten und seien als erste getürmt. Und das habe ich auch von Gretel Volz´ Mann gehört. Und zwar ist nicht die Front zusammengebrochen, sondern die Etappe. Ich wiederhole vieles aus früheren Briefen, weil Du sie ja nicht bekommen hast.

Ob unsere Front vor dem Rhein zum Stehen kommt? Ich nehme an, der Amerikaner bietet alles auf, um durchzubrechen, und Du lebst dort in einer Ahnungslosigkeit, die zeigt, in welch verschiedenen Welten wir beide augenblicklich leben. Immerhin verlieren wir nicht den Kopf, sondern richten uns auf alle Fälle ein zum eventuellen Wegmüssen. Und zum Leben in den Kellern, wenn es sein muss.

Heute ist Regen, und wir haben Ruhe vor den Tieffliegern, die sonst jedes Einholen in Beobachten und Deckungnehmen verwandeln. Ich habe Dich gebeten, schreib, so oft Du kannst, ich habe Deine Post bis jetzt bekommen, und wer weiß, wie lange das noch sein kann.

Viele liebe Grüße und Küsse

Deine Lotti