Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 25. Oktober 1944

den 25.10.44

Mein Liebster!

Vor mir im Rahmen steht Dein Bild, das sonst neben meinem Bett stand. Das große habe ich dorthin gestellt, damit ich es abends immer noch ansehen kann, ehe ich das Licht ausknipse. Heute kam ein Brief von Dir vom 6.10. Ich freue mich doch sehr, wenn auch das, was drinsteht, längst überholt ist.

Wilhelm Düren ist in Russland gefallen. Es ist genau so unfasslich wie der Tod von Theo. Wieviel Lücken werden nun um uns sein, wenn wir lebendig aus diesem Krieg herauskommen? Und wie lange soll dieses entsetzliche Ringen noch dauern? Und wie wird dann die Welt aussehen? Wie glücklich dürfen wir sein, wenn unsere kleine Welt erhalten bleibt, auch wenn wir dann nur noch für unsere Kinder sorgen können und unsere persönliche Wünsche hintan stellen müssen. Denn ich glaube, das, was wir uns persönlich von einem schönen Leben geträumt haben, wird so und so für alle Zeiten weg sein. Und unsere Jugend.

Ich glaube, dass wir Erholung und Entspannung nur noch in unserem Zusammensein finden können. Geld wird wohl sehr rar sein, an Verschönerungen des eigenen Hauses wird wohl auf Jahre nicht gedacht werden können, Köln und Bonn, wohin

man so gerne ging, sind weg, modische Kleider und elegante Zeitschriften wird es in einem solchen ausgebrannten Deutschland auch wohl lange nicht mehr geben… es bleibt also nur ein ganz schlichtes Leben übrig.

Darüber mache ich mir keine Illusionen. Aber das erscheint mir heute in Gemeinschaft mit Dir himmlisch. Ach, es ist doch wohl noch ein weiter Weg bis dahin.

Was hörst Du davon, dass ich mich im Fall einer Zwangsevakuierung zu Dir verschicken lasse? Ich käme sonst, wenn ich nichts weiß, in die Merseburger Kante und wenn ich da primitiv wohnen kann, kann ich es auch in Steinhude. Aber wir wären fürs erste zusammen. Soviel Betten gibt es ja in Mitteldeutschland gar nicht, die Meisten werden wohl auf Stroh diesen Winter schlafen müssen, und das tue ich dann auch lieber in Steinhude wie anderswo.

Godesberg schmiert täglich 7.000 Butterbrote für Köln, das weder Licht noch Gas noch Wasser hat. Die Bäckereien und Metzgereien müssen für Bonn liefern, und das Transportsystem gerät sowieso ins Stocken.

1000 liebe Küsse
Deine Lotti