Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 20. Januar 1945

den 20.1.45

Mein lieber Mann!

Nach zwei Feldpostbriefen kommt jetzt wieder einer mit der richtigen Post. Was geht schneller?

Heute nachmittag kamen zwei Briefe von Dir vom 11. und12. Dezember. Ich danke Dir herzlich, besonders für den Weihnachtsbrief. Lieb, wie Du an mich denkst. Und dann tat mir der Brief gut, weil mich der Nachrichtendienst einigermaßen erschütterte, der sagte, dass jeder Zugverkehr aufhört, außer ein paar Pendelzügen. Nun bekomme ich wohl meine Kinder vor Kriegende nicht mehr zu sehen. Und das ist ganz schrecklich für mich. Werde ich sie überhaupt wiedersehen? Werden wir nicht so auseinandergerissen, dass wir hinterher in verschiedenen Ländern wohnen? Denn jetzt geht es doch wohl endgültig aufs Ganze. Es wäre viel leichter, könnte ich mit Dir und den Kindern

verbunden sein.

Wie ist es mit dem Unterhalt für die Kinder bei Lenchen? Was zieht sie ihnen bloß im Frühjahr und Sommer an? Alle dünnen Sachen sind ja bei mir.

Wie mag alles aussehen, wenn Du diesen Brief hast? Besonders im Osten? Wenn das Leben auch immer kärglicher wird, so ist es doch wunderbar, in eigenen Räumen unter seinen Bekannten zu leben.

Die Kinder entbehren ja immer noch nichts und leben eine so sorglose und glückliche Kindheit wie nur je. D.h., entbehren ist falsch ausgedrückt, sie wissen es nicht viel anders. Sie mögen bloß nicht, wenn ich um Helga und Ursel weine. Sie selber kümmert es ja nicht, dass die Geschwister so weit sind.

Jürgen besucht immer noch reihum alle Bekannten und heimst besonders bei Kauls, Bonbons und wunderbare Waffeln ein. Woher haben die das bloß? Kauls haben an Jürgen sicher schon 1/4 Zentner Bonbons verfüttert. Klaus hat

zwei Bücher, die er sehr liebt. Das eine ist ein altes Lexikon mit Maschinen und aus-geweideten Menschen, das andere ein altes Kursbuch, in diesen beiden liest er, während ihm Geschichtenbücher ziemlich gleichgültig sind. Heidi ist interessiert an ihren Schulaufgaben wie je, und es gab gestern bittere Tränen, als sie den letzten Aufsatz, den sie für Herrn von dem Borne (der unterrichtet die Kinder in der Nachbarschaft privat jeden Tag zwei Stunden) machen musste, nach meiner Anweisung noch einmal schreiben musste. Sie macht unglaubliche Fehler, aber alles aus Flüchtigkeit. Dafür will sie dann immer noch sieben Kinder haben.

Eben haben wir die Kinder in kleinen Büttchen gebadet, weil das Gas ja wohl vor Ende des Krieges nicht mehr kommt.

Wir haben wieder Einquartierung, d.h., er kommt erst heute abend. Er ist Schirrmeister, und die Gruppe kommt von der Front. Ich habe, weil ich keinen anderen Raum zur

Verfügung hatte, die Chaiselongue von der Omi ins Biedermeierzimmer an die Wand unter das Bild gestellt und das Sofa an die Doppeltüre. Er war begeistert, weil er für alte Möbel schwärmt. Den Namen weiß ich noch nicht, trotzdem er ihn dreimal genannt hat. Er scheint aber Benehmen und Aussehen nach aus gebildeter Familie zu sein. Er ist ungefähr 40 bis 42 Jahre alt. Es scheint, als ob er sich schon eine andere Unterkunft angesehen hat, aber das Biedermeierzimmer gab den Ausschlag, so hell begeistert war er. Könntest Du das doch sein, Pappi. Ich träume immer davon, dass Du eine Dienstreise nach Hangelar machen musst.

Ob Post ankommt oder nicht, ich schreibe wie früher alle zwei Tage. Irgendwie wird sich sicher was durchrobben. Tu Du es auch.

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