Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 11. Juli 1941

Husum, den 11.7.41

Mein liebes Lottenkind,

Nach 2 Tagen Fahrt in glühend heißen Eisenbahnwagen benutze ich die erste Gelegenheit, um Dich von hier herzlich zu grüßen. Ob ich Dich sehen werde, bevor es von hier weitergeht? Wir sind alle der Meinung, daß Husum für uns nur ein Übergang nach Norwegen oder Rußland ist.

Die Fahrt war grauenvoll und die Tage vorher nicht minder. Man hatte uns uralte französische Wagen gegeben, in denen keinerlei Bedürfnisanstalten waren und in denen die Hitze einfach unaussprechlich war. Als Verpflegung bekamen wir flüssiges Schmalz (stark gesalzen). Aale und Brot, dazu glühend heißen Kaffee aus der Feldküche. Man sollte meinen, die hätten den Verstand verloren. Die meisten haben das Schmalz weggeschüttet. Aale zu geben, wenn sich niemand die Hände waschen kann, ist auch Wahnsinn; wir haben beide Tage imperdinent (!) nach Fisch gestunken. Für den Durst hätten sie sich auch etwas Originelleres ausdenken können als heißen Kaffee. Dabei wurden wir sorgfältig um alle größeren Bahnhöfe, auf denen sich vielleicht Verpflegungsstationen hätten befinden können, herumgefahren. Es war wirklich eine Tortur.

Durch Hamburg sind wir kreuz und quer durchrangiert worden. Es war weit und breit nichts von Zerstörungen zu sehen. Auch hier wieder die üblichen Übertreibungen! Auch an den riesigen Gummifabriken in Harburg sind wir im Schritttempo vorbeigefahren, dabei glaube ich gern, dass Hamburg mehr gelitten hat als viele andere Städte. Es war ein allgemeines Erstaunen unter den Lanzern, die sich nach den Berichten aus der Heimat ein viel schlimmeres Bild gemacht hatte(n).

Der Deutsche ist politisch noch vollkommen unerzogen und ich habe manchmal Bedenken, ob unser Volk zu dem, wozu es Hitler erziehen will schon reif ist. Dieselben Leute die lange Klageberichte ins Feld schreiben und schreckliche Geschichten von der Verwüstung ganzer Stadtteile erzählen, sind zu faul, den Arm zu heben und zu winken, wenn ihnen von einem Truppentransportzug zugewunken wird.

Wir kamen aus Holland, wo wir es im allgemeinen gut gehabt haben. Viele sind garnicht gerne weggegangen. Trotzdem haben wir uns irgendwie gefreut, wieder in die Heimat zu kommen, wo man Deutsch spricht und wo man uns freundlich gesinnt ist. In den ersten deutschen Städten und Dörfern wird daher gewinkt und gerufen. Geantwortet wird fast ausschließlich nur von kleinen Kindern. Die Großen gaffen uns mit blöden Augen und offenen Mündern nach, ohne sich zu rühren. Die Enttäuschung war groß und allgemein und manches bittere Wort ist gefallen. Wenn das einem Verband passiert, der vielleicht nach langen Kampfmonaten und schweren Verlusten abgelöst wird, muß die Enttäuschung noch viel schlimmer sein.

Zu denen, die ungern von Bergen weggegangen sind gehöre auch ich, denn ich habe mich dort recht wohlgefühlt. In dem hübschen Villenort zwischen Meer, Dünen und Polderlandschaft ließ es sich auch gut leben. In den letzten zwei Wochen war es allerdings scheußlich, da ein Befehl nach dem anderen widerrufen wurde bevor er ganz ausgeführt war. Dadurch entstand schrecklich viel Arbeit und meistens für die Katz. Daß ausgerechnet Pützens da rein platzen müssen, war natürlich schade, sowohl für sie als auch für mich.

Jetzt wird die Arbeit wohl wieder normal werden. Unsere Staffel werden auf die uns vorgelagerten Inseln verteilt und in Husum wird wohl nicht mehr als der Stab und die Stabskompanie bleiben. Dann habe ich auch wieder Zeit zum Briefschreiben. Ich hoffe auch, daß der alberne Befehl, daß Privatbriefe nicht mehr auf dem Büro geschrieben werden dürfen, aufgehoben wird oder in Vergessenheit gerät. Dieser Brief z.B ist auf dem Büro verbotenerweise geschrieben und ich hoffe, daß ihm noch viele folgen werden. Am herrlichsten wäre es ja, wenn Du selbst mal kommen könntest. Wenn wir erst mal wieder weg sind, wird es wieder unmöglich sein. Die Urlaubssperre soll aufgehoben sein, aber nur zu dem Zweck des Ernte einbringen, dabei fällt also für mich nichts ab. Die Bauern werden die Gelegenheit, nach hause zu kommen sicher nicht verpassen, sodaß die normale Urlaubsquote sicher erreicht wird. Das heißt für uns “ Hierbleiben“. Für Dich ist es eine sehr schwierige Frage im Hinblick auf die Zeit, die Karten und das Geld. Wirst Du dieser Vielzahl der Probleme lösen können?

Für uns ergibt sich hier auch ein finanzielles Problem. Man will uns hier im sogenannten „Heimatkriegsgebiet“ die Frontzulage nicht ausbezahlen. Das wäre ein schwerer Schlag ins Kontor. Der Major will sich das aber nicht gefallen lassen. Hoffentlich hat er Erfolg.

Über die hiesige Gegend kann ich noch garnichts sagen, da wir erst gestern Abend hier angekommen sind und ich heute Morgen schon schreibe. Vor unserem Fenster in Gefechtsstand liegt das weite Flugfeld mit gelbem verdorrten Gras in der Ferne sind einige Dörfer mit dicken Kirchtürmen zu sehen. Nur eines fällt mir auf, das Land hat gar keinen Schatten, alles liegt in der prallen Sonne. Vom Bahnhof aus, wo wir den ganzen Abend ausgeladen haben, habe ich auch den Damm gesehen, den Storm im Schimmelreiter beschreibt und an dem diese Novelle auch, wie ich höre, vor einigen Monaten verfilmt worden ist.

Bei der Abreise von Bergen ging es so toll her, daß ich mich nicht einmal von Pützens verabschieden konnte. Ich finde es zu lieb von Ihnen, daß Sie nach Bergen kamen, um mich zu besuchen. Zweifelsohne wäre die Zeit für uns beide wunderschön geworden, wenn die dusselige Verlegung nicht dazwischen gekommen wäre, aber daran war ich ja wirklich unschuldig.

Wenn Du es möglich machen könntest zu kommen würde ich Dir hier ein Quartier besorgen. Ich weiß im Augenblick noch keines, aber ich würde schon ein nettes finden. Hier oben waren die Züge gestern leer, aber auf der Strecke Köln- Hamburg würdest Du volle Züge haben. In Hamburg habe ich übrigens gesehen, daß man die ganze Binnenalster aus Gründen der Tarnung überbaut hat. Wenn ich genau wüßte wann Du kämest, könnte ich Dich vielleicht sogar nachmittags in Hamburg abholen. Ich würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um es möglich zu machen. Meine neue Brille hat übrigens auf der Reise eine Kräte (?) gebrochen. Hoffentlich kann der Schaden repariert werden.

Ich bin heute reichlich müde, denn auf der Reise hat man doch nicht richtig schlafen können, nur Dösen. Das merke ich jetzt doch.

Die Unterkünfte sind hier auch wieder Baracken und zwar die gleichen wie in Reinsehlen. Alles in der Knall- Sonne und daher scheint Bar heiß. Ich kann aber heute die Hitze besser aushalten als früher. Früher hätte ich mich bei solcher Hitze nicht bewegen können und gestern habe ich sogar noch schwere Kisten und sonstigen Kram dabei geschleppt. Ein Genuß ist es ja gerade nicht.

Sage dem lieben Helgamäuschen, daß ich mich über ihren Geburtstagsbrief ganz schrecklich gefreut habe und gibt ihr einen lieben Kuß von mir dafür.

Von Dir habe ich 3 Geburtstagsbriefe bekommen. Einen immer lieber als den anderen. Die Kniese (rheinisch: der Knies = der Ärger) zuhause darfst Du mir natürlich immer erzählen, wenn Dir dadurch das Herz leichter wird. Es ist und bleibt aber eine große Schweinerei. Ich sitze hier leider viel zu weit vom Schuß, um ohne es zu verschlimmern, eingreifen zu können.

Mutter schreibt mir, daß sie Anneliese für nicht normal halte und deshalb die größten Bedenken habe, ihr die Kinder anzuvertrauen.

Es grüßt Dich 1000 mal und gibt Dir einen recht lieben Kuß              Dein Harald.          

Schicke bitte Charlys Brief mit richtiger Feldpostnr. nach.