Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 22. November 1941

22.11.41

Liebes Lottenkind,

Hier schicke ich Dir die 30 Mk für den Monat November. Du wirst sie sicher am Monatsende gut gebrauchen können. Heute ist Walter Maiss abgedampft und ich bin traurig, denn solche Veränderungen in der Bude sind meistens Verschlechterungen. Ich weiß auch nicht, wo ein so netter und anständiger Kerl herkommen sollte.

Ich sitze gerade wieder im Zimmer des Majors und freue mich, daß ich diese Entdeckung gemacht habe. Es ist gemütlich warm, hat eine Tischlampe und liegt außerhalb des Störungsbereiches des U.v.D. und anderer Leute, denen es ein Gräuel ist, wenn jemand schreibt. Sie sinnen dann immer gleich, wie man einen solchen Mann beschäftigen könnte, denn er hat offensichtlich nichts zu tun.

Wenn Du diesen Brief bekommst, ist wahrscheinlich Sonntag. Totensonntag und da gehen meine Gedanken auch zu den vielen lieben Gräbern in Godesberg. Allein auf dem Friedhof an der Godesberg sind es 4 Gräber, wo Menschen liegen, die mir etwas bedeutet haben. Ich kann mir kaum vorstellen, daß ich Deinen Vater nicht gekannt habe, denn er ist mir irgendwie bekannt und lieb. Ich verehre in ihm, glaube ich, letzten Endes Dich, denn so sehr vieles, was ich an Dir so sehr liebe, ist augenscheinlich sein Erbteil, in dem er heute noch lebt. So sehe ich ja überhaupt die Unsterblichkeit und freue mich das er durch Dich in unseren Kindern weiterlebt, als guter Ahn. Diese Vorstellung hat für mich sicherlich so viel tröstliches als der christliche Glaube an eine Auferstehung (Auferstehung des Fleisches), an die ich schon aus rein naturwissenschaftlichen Erkenntnissen heraus nicht glauben kann. An Körper und Geist gesunde Kinder an meinem Totenbett, werden mir sicher

mehr Ruhe zum sterben geben als die besten Worte eines Pfarrers über die Unsterblichkeit meines Leibes, die ich garnicht so wichtig finde. Herrlich aber ist der Gedanke, da ich in unseren Kindern mit Dir vereint bleibe, wenn wir beide nicht mehr sind. Ich glaube auch, daß dieser Glaube den Menschen vor törichter Gattenwahl bewahren kann.

Es ist ganz eigentümlich, zu welchen Gedanken mich das ruhige Zimmer anregt. In unserer Bude fehlt mir immer die Konzentration zum Ausspinnen von Gedanken, die mich bewegen. Gleich will Wilhelm Lehbring mich besuchen. Er ist ein lieber Kerl, Du kennst ihn ja von Husum her, er ist aber auch ein Lamm Gottes und kein Streiter Christi, aber ich will nicht kritisieren, denn ich selbst bin ja auch noch eine weite Strecke Wegs von dem entfernt, was ich sein will und vielleicht auch sein könnte.

Vor allen Dingen will ich ein guter Mann und Vater werden, deshalb bedrückt es mich so, daß Du und die Familie jetzt und noch einige Zeit unter meiner alten Leichtfertigkeit zu leiden habt, aber nicht nur ihr, nein ich selber leide sehr darunter und deshalb bin ich Dir so von ganzem Herzen dankbar, daß Du trotz der Kenntnis meiner Unzulänglichkeit so lieb und tapfer zu mir steht das wird Dir nie vergessen, mein Lött.

Eben war Wilhelm Lehbring hier und ich habe ihm von unseren Godesberger Adventssitten erzählt. Ob ich sie in der Erinnerung schöner sah, als sie wirklich sind? Ich weiß es nicht, er war auf jeden Fall sichtlich begeistert und ich war es auch. Feiere nur so gut es gehen mag mit den Kindern. Es gibt nichts Schöneres als häusliche Feste mit Timmermannscher Lebensfreude und Spaziergänge mit meinem Lött und Ausbau des Haushalts und der Behaglichkeit und, und, und.   Ach Lott, es gibt so viel schönes über das und auf das man sich

freuen kann, auch wenn 100e von Kilometern zwischen uns liegen und man schon 38 Jahre alt ist. Aber ich bin sehr gesund und noch recht kräftig, das sehe ich täglich im Vergleich mit meinen Altersgenossen und so kann ich mir wohl nach menschlichem Ermessen noch was vornehmen.

Ach Lotting, so ein Brief in Ruhe geschrieben, ist doch etwas ganz Herrliches. Ich fühle mich so mit Dir verbunden wie lange nicht. Es ist als ob ich im Lehnstuhl säße und Du auf der Coutsch und ich könnte Dir erzählen. Dabei ist es draußen dunkel und wir haben kein Licht an, so daß ich Dich nicht sehen kann aber ich weiß, daß Du da bist.

Der Sturm hat sich gelegt und wir haben zur Zeit einige schöne Tage, obwohl es kalt ist. Heute Abend bin ich ½ Stunde am Meer gesessen. Es war Meerleuchten, was wir hier schon häufiger erlebt haben . Die Wellen sprühen am Strand und wenn man mit dem Fuß auf feuchten Sand tritt, dann sprühen 100 kleine Funken auf. Das kommt von kleinen Tierchen. Es wundert mich nur, daß es bei dieser Kälte noch vorkommt.

Du hast nun aber auch Deine Raucherkarte, es fällt mir gerade ein, weil ich meine letzte Zigarette anstecke. Sei nur nicht zu ängstlich und schaffe, falls das möglich ist, einen kleinen Vorrat, damit etwas da ist, wenn ich einmal auf Urlaub komme. Hebe sie aber nicht im warmen Zimmer auf, sonst werden sie stockig.

Also, min Lott, hat nun doch ihr Winterkleid bekommen und ein ganz schönes dazu und die schöne Bluse aus Kamelhaar. So ist mir ein Stein vom Herzen, daß es nun doch noch ganz gut gelöst worden ist, denn daß min Frau im Winter frieren sollte war doch ein scheußlicher Gedanke.

Ich habe bald den ganzen Tintenstift abgeschrieben. Ich

muss ihn schon ganz steil halten und immer mag ich noch keinen Schluss machen, denn ich mag noch nicht aufstehen aus meinem Lehnstuhl.

Unser armes Heidikind, ich habe es ja geahnt, aller Dreck vererbt sich ja sofort. Eigentlich bin ich ja nicht für eine Brille, denn wenn man so ein Ding erst mal auf der Nase hat, dann sitzt sie fest fürs ganze Leben. Ich glaube, daß Sehen bei Kurzsichtigen auch eine Art Träning ist. Genügte es nicht sie in der Schule auf die erste Bank zu setzen? Für Mädchen ist Kurzsichtigkeit und Brillentragen ja besonders schlimm. Sprich noch mal mit dem Augenarzt darüber. Wenn allerdings Astigmatismus dazu kommt, dann ist wohl nichts zu machen. Wenn Heidi aber eine Brille braucht, dann sorge dafür, daß sie eine bekommt, die sie nicht verunstaltet, auch wenn sie etwas mehr kostet. Was Du mir von dem süßen kleinen Ding sonst schreibst hat mich sehr gerührt! Ich will meinem kleinen Ding auch mal wieder einen Brief schreiben. Ich bin mit meinen Briefverpflichtungen arg im Rückstand, aber das warme Majorszimmer wird dem vielleicht abhelfen. Der Zeiger nähert sich bedrohlich der 11. um 11 Uhr muß ich im Bett liegen und so tun, als ob ich schliefe.

Bekomme ich meine Novelle?

Schnell noch eine geschäftliche Frage. Ist es nicht richtig, wenn Du mal zu Weil hingehst und fragst, ob Du die Verwaltung bekommst, sonst meint er vielleicht du wolltest sie nicht.

Es grüßt und küßt Dich sehr sehr lieb und innig                              Dein Mann