Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 27. November 1941

27. 11. 41

Mein liebes Lotting,

Dies hier soll nun Dein Adventsbrief werden, obgleich er wegen des schlechten Wetters wahrscheinlich garnicht ans Festland und damit zu spät kommt.

Ich bekam gestern Deine beiden lieben Briefe, die ein tapferer Flugzeugführer im Blindflug geholt hat, da es jetzt fast ständig neblig ist. Gott sei Dank stürmt es nicht mehr. Ich war richtig dankbar, wie der Postsack ankam und sich in ihm Deine lieben Briefe fanden. Ich danke Dir recht herzlich besonders für den langen, gemütlichen Brief, der so viel Wärme und Adventsstimmung ausstrahlte.

Ich hatte gestern eine große Freude. Es gibt hier einen Marinepfarrer, der sich sehr viel Mühe gibt und der auch mit Wilhelm Lehbrink Fühlung aufgenommen hatte. Wilhelm bat mich nun mit zu ihm hinzugehen, was ich gerne tat, da ich ihn gesehen hatte und er auf mich einen sehr sympathischen Eindruck gemacht hatte. Es gab eine sehr muntere Unterhaltung bei einem leckeren Grog , es war sehr angeregt und anregend. Er kannte das Pädagogium von ehemaligen Schülern her, die er sehr hoch schätzte und von ihnen auf die Schule zurück schloss und entpupte (!) Sich zum Schluss noch als 5 %iger (Göttinger blauer Sänger), das schlug wie eine Bombe ein. Er sprang sofort auf, als ich mich als Fredericianer oder Makare vorstellte, umarmte mich und bot mir sofort das Du einen. Aus der Unterhaltung wurde eine richtige Feier, so daß ich äußerst fidel nachhause kam. Ich bin herzlich froh, daß ich da etwas unterschlüpfen kann. Er heist Fritz Iser , ist 55 Jahre und sonst Pfarrer in Wilhelmshaven . Er steht mit beiden Beinen im Leben, ist herzhaft und fröhlich. Ist das nicht fein. Er will mich mal mit an den Stammtisch in Wilhelmshaven nehmen.

Hoffentlich ist mein Paketchen angekommen, das ich an die Mutter geschickt habe. Hast Du Dich gefreut. Ich würde Dir ja so gerne viel mehr F(r)eude machen, wenn ich nur wüßte wie.

Das arme Heidkind ist ja ordentlich kurzsichtig, bei diesem Grad der Fehlsichtigkeit wird sich das Brillentragen wohl nicht vermeiden lassen. Schade. Wie sieht sie denn aus in der Brille?

Ich werde morgen und übermorgen in Gedanken viel bei Euch sein denn die Adventszeit hat doch immer, angefangen vom Adventssingen, etwas sehr Gemütliches an sich gehabt

. Wir essen jetzt hier häufig Muscheln, die wir selbst am Strande sammeln, in der Küche klauen wir uns Zwiebeln und dann geht es los. Ich habe mir das Rezept aus den Fingern gesogen, aber die Muscheln schmecken famos und haben schon viele Liebhaber gefunden. Leider sind sie lange nicht so groß wie die gezüchteten Muscheln, man ist sich hungrig dran, aber es ist mal was anderes.

Gestern bekam ich auch ein liebes Adventspäckchen aus Blankenburg von Beckers. Es hat sich offenbar mit meinem Brief gekreuzt. Beckers bedauern, daß sie von Godesberg garnichts hörten. Sie fragen, ob sie für Euch schon gestorben wären. Sag es mal der Mutter, sie kann doch mal schreiben.

An Schutlzens will ich auch bei nächster Gelegenheit wieder schreiben. Die ständige Sorge um Hansens Gesundheit lastet ja auch wie ein Druck auf allen. Selbstverständlich würde ich auch eine gute Stelle in Stettin annehmen, das versteht sich ganz von selbst, nur keine untergeordneten mehr. Ich muss nun doch meinen H.J. Paß gelegentlich haben. Wenn Du ihn wieder findest, dann schicke ihn mir. Ich muss mich auch bei Fritz Palm bedanken, daß er das mit der Beförderung gedreht hat, schaden wird es mir sicher nichts.

Dieser Brief sollte eigentlich schon gestern Nachmittag, wo ich frei hatte geschrieben werden, aber ich war so müde, daß ich mich zu einem Mittagsschlaf hinlegte aus dem ich erst um 19 Uhr erwachte, daran schloss sich ein Muschelessen und daran der Besuch beim Pfarrer.

Ach Lotting, ich freue mich so, daß auch diese schwere Zeit mit all der vielen Arbeit und den 1000 Erschwerungen, Dir den Sinn für Schönes und Stimmungsvolles nicht raubt. Wir sind schließlich beide noch jung, nicht mehr gerade Springinsfelde, aber doch noch jung. Ich fühle mich wenig-

stens noch jung und Du auch, das weiß ich.

Helga und Heidi wollte ich auch noch schreiben, aber ich komme nur nach und nach dazu meine Schreibschulden abzutragen, aber es bestehen doch begründete Aussichten, daß es gelingt, auf Grund des ruhigen Majorszimmers, das ich je länger je mehr als große Wohltat genieße. Dieser ewige Trubel um mich ließ mich doch nicht zur Ruhe und Sammlung kommen. Das ist jetzt doch viel besser geworden. Wenn ich nur wüßte, womit ich Euch eine Weihnachtsfreude machen könnte, außer Muscheln, Sand, ein bisschen Strandhafer und Wasser gibt es hier fast nichts.

Hör mal Lotting, kann uns die Mu bei 30 Mk Rückzahlung pro Monat nicht 400 Mk leihen. Diese Schuld ist dann in einem Jahr erledigt. Zinsen bekommt sie natürlich auch, ich denke 5 % das wären 20 Mk , das können wir aufbringen. Ich will mir aber auch noch Mühe geben, etwas aufzutreiben.

Das Reich liegt auch wieder bei. Ich habe aber keine Zeit, es selbst zu lesen. Wenn besonders beachtenswerte Artikel drin stehen, dann streiche sie bitte an, oder schneide sie aus, damit ich sie auch mal lesen kann.

150 Mk Verwaltungskosten können wir von Engels Ende Dezember auch wieder abbuchen. Ich dachte zuerst 200 Mk, aber im Hinblick auf die bedrängte Lage der Frau Engels wollen wir uns bescheiden. Ist der Partenkirchener Engels jetzt auch eingezogen? Wie hat es eigentlich Scheidtweiler fertig gebracht vom Kommiß wieder loszukommen. Er war doch auch eingezogen.

Hoffentlich hat Charly meinen Brief bekommen. Er tut mir doch sehr leid mit seinem Panjewagen. Vom stolzen Auto auf den Panjewagen, das ist eine sehr zweifelhafte Veränderung. Immerhin ist er somit vielleicht etwas aus der 1. Drecklinie (=in Russland) heraus. Mit Urlaub ist es sicher in Rußland erst recht schlecht, vielleicht will er aber auch vorerst keinen, ich lege nämlich die Bemerkung in Hansens Brief ähnlich aus wie Du, Lotti so etwas ist doch schrecklich, wenn man selbst im Felde steht und muß dann so etwas von daheim erfahren. Ich verstehe Edith nicht. Es geht ihr offenbar zu gut.

Ich muß bei mir mal wieder ein bisschen Luft machen, daher schicke ich Deine Briefe zurück. Du hebst sie aber gut auf, nicht wahr!

Von Eurer Adventsfeier schreibst Du mir auch, mit dem Klavier lässt sie sich ja sehr hübsch gestalten. Ich finde es sehr lieb von Frl. Hundscheidt, daß sie sich etwas um Dich kümmert. Hoffentlich bekommt der Stimmer die alte Klavierkommode wieder einigermaßen hin. Ich meine ich hörte die kleinen fiebsigen Kinderstimmchen die alten schönen Lieder singen. Hast Du die Autobahn zu Radermacher gegeben, sonst ist sie in 2 Stunden hin und es gibt ein schreckliches Gebrüll am Weihnachtsabend. ---

Unsere Truppen in Afrika schlagen sich ja über alle Maßen gut. Der Tommy, d.h. Australier, in der, Kanadier, Kreter und Araber waren durch die Wüste bis vor die Tore von Agedabia vorgestoßen und unsere Nachschublinie war in großer Gefahr, dann kam die Rettung, in überraschendem Angriff wurde diese Truppe 250 km tief nach Süden in die Wüste zurückgeworfen. Rommel ist ein toller Kerl. Die Engländer sind uns sicher zahlen- und materialmäßig dort unten haushoch überlegen zumal der Tommy den Italienern einige fette Geleitszüge weggeschossen hat und trotzdem kommt er nicht durch. Jetzt müßten wir stark genug zum Gegenstoß nach Ägypten hinein sein. Das wäre eine Sache!

So nun grüße mir alle Lieben recht herzlich.

Dich aber nehme ich in den Arm und gebe Dir einen lieben, langen, langen Kuss
Dein Mann.