Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 15. Januar 1942

den 15. 1.42

Mein liebes Lottenkind,

also der Traum von Afrika, der Türkei oder sonstigen fernen Ländern ist ausgeträumt. Wir bleiben endgültig zum Schutz der Deutschen Bucht an der Nordsee. Es kann zwar noch Verlegungen geben im Raum von der Scheldemündung bis nach Dänemark. Dir wird das sicher recht sein uns weniger. Gestern war ich wieder bei Pfarrer Iser und habe dort ein paar gemütliche Stunden verlebt. Sie waren schon aus dem Grunde gemütlich, weil ich endlich mal warm geworden bin bei ihm. Die Kälte und vor allem der Wind hier sind scheußlich. Wilhelm, der gestern wieder hier ankam, ist bereits gestern Abend ins Lazarett gewandert. Er hatte starke Schmerzen und wird auf Nierensteine beobachtet. Gestern Abend hat es wieder schwer geschmettert hier, sodaß ich bis beinahe bis 24 Uhr bei Iser bleiben mußte, weil ich durch den Splitterregen nicht heim konnte. Iser hat uns einen Brief seines Sohnes, der südlich des Ilmensees liegt, vorgelesen. Die Kämpfe müssen dort einfach fürchterlich sein. Eine vielfache Übermacht von Mongolen rennt täglich gegen die deutschen Linien an, Pardon gibt es schon seit Monaten nicht mehr. Die Verluste durch die grimmige Kälte sind fast ebensohoch wie durch die Feindeinwirkung. 8 Mann seines Trupps sind schon im Oktober erfroren. Das erfrieren von Gliedmassen ist an der Tagesordnung: Sie werden schwarz und fangen an zu faulen, sobald sie aufgetaut werden. Was sind dagegen unsere kleinen und kleinsten Leiden? Die Kälte muß in Rußland dieses Jahr ganz besonders früh und heftig eingesetzt haben. Es war deshalb auch nicht vorgesorgt. Es scheint aber so, als käme der russische Vormarsch langsam ins Stocken. Er ist allerdings südlich von Moskau 300 km vorgekommen.

Ich rechne im März mit einer deutschen Offensive. Ein Glück, daß der Japs die Amerikaner und Engländer z.Z. beschäftigt, sonst würde unsere Heimat elend hergenommen werden. Wie steht es denn bei Euch mit den Kartoffeln? Klappt die Zufuhr oder stockt sie wegen des Frostes wieder?

Ich muss Dir übrigens noch für die vielen lieben Grüße danken, die mich inzwischen erreicht haben. Es war sehr gut, daß ich fast täglich Post bekam, denn ich habe eine richtige Krisis hinter mir. Hoffentlich hälst Du das tolle Arbeitstempo durch, mein Liebes. Wenn Du ein Mädchen bekommen kannst, dann nimm es ja. Bemüh Dich auch um ein Pflichtjahrmädchen, wenn Du kein anderes bekommst. Kann Dir Anneliese Degen nicht helfen?

   1000 liebe Grüße                   Dein Harald

Gib der Heidi ein(en) recht lieben Kuß von mir, weil sie Dir so lieb hilft.