Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 1. März 1942

Jever, den 1. März 1942

Mein liebes Lottenfrauchen,

eben wo ich 1. März fällt es mir wieder ganz besonders auf, daß es in diesem Jahr anscheinend überhaupt nicht Frühling werden will. Auch hier in Jever ist es noch ordentlich kalt, wenn auch der Wind fehlt, der die Kälte in Wange Roger so besonders fühlbar machte. In Bezug auf die Unterkunftsverhältnisse ist Jever Wangerooge turmhoch überlegen. Hier gibt es keine Baracken, sondern nur feste Bauten mit allen Schikanen moderner Kasernenbautechnik. Es gibt gekachelten Waschräume und W. C.´ s; es gibt warmes und kaltes Wasser und Zentralheizung und trotzdem fühle ich mich nicht wohl. In Bezug auf die Menschen habe ich mich ganz bestimmt, das kann ich jetzt schon ohne Übereilung sagen, ganz erheblich verschlechtert. Hier herrscht eine gedrückte Stimmung, ich weiß noch nicht worauf sie zurückzuführen ist. Der Chef heißt Oberstleutnant Vollbracht und ist Ritterkreuzträger. Hauptmann Riemann ist sein Adjutant. Es fehlt aber der herzliche Unterton, der bei Major Mix immer zu spüren war. Das kam ganz besonders bei der Verabschiedung zum Ausdruck, wo Mix ganz reizend war. Ebenso wird es eine solche Zusammenarbeit wie mit Uffz. Lucht nicht wiedergeben. Es ist sofort der Unterschied zwischen dem Frontverband und der Etappeneinheit zu spüren. Ich werde wohl alles unternehmen, um hier wieder wegzukommen, denn das ist nichts für mich. Gestern Abend hatte ich mir Ernst Hildebrandt verschrieben, um nicht ganz alleine zu sein, denn alle Stubenkameraden waren an Land gegangen. Er brachte noch 2 Kameraden mit, die sich bei näherem zu sehen als Mönche entpuppten, ein Franziskaner und ein Benediktiener. Ich war starr, aber was wollte ich machen.   So saß ich denn, eingekeilt zwischen 3 Streitern Gottes. Immerhin brachte mir Ernst einen Brief von Dir mit, den er hier bei der Post aufgehebelt hatte und der auf diese Weise den Umweg über Wangerooge vermieden hat. Dieser Brief, liebes Lottenkind macht mir nun schwere Sorge. Er ist im Anschluß an einen anderen geschrieben, den ich noch nicht habe und der wohl über Wangerooge gelaufen ist. Ich kann den Grund Deiner Verzweiflung also vor erst nur erraten. Du tust mir ganz schrecklich leid mein liebes kleines Frauchen. Wie kann ich Dir nur helfen? Ich überlege dauernd, was ich machen kann. Urlaub kann ich am 2. Tag meines Hierseins nicht schon einreichen. Das Einstellen des Hauses auf gerinnst möglichen Arbeitsaufwand muß beschleunigt durchgeführt werden. Es muß aber alles gut überlegt sein, damit die Entlastung auch fühlbar ist und sich der Arbeits- und Kostenaufwand auch lohnt.

Du mußt aber nicht immer, wenn alles anders läuft, als Du es Dir wünschtest glauben, Du sei jetzt ein besonderer Pechvogel. Lotting, es gibt viel schlimmere Dinge, die nicht vorübergehender Natur sind wie der augenblickliche Zustand, sondern die ein ganzes Leben überschatten. Der Krieg wirkte sich in allen Familien aus und wir wollen froh sein, daß er noch nicht brutaler in unsere Familie hineingegriffen hat, wie bisher.

Gestern konnte ich Dir nur ganz kurz das Notwendigste schreiben, weil ich hier viel Zeit dadurch verbrauchte, daß ich noch mit nichts Bescheid wußte. Dieser Zustand ist scheußlich und wird trotzdem noch einige Tage anhalten, denn“ in Jever ist alles anders“, dies geflügelte Wort gegen schon bei uns in Wangerooge um und es ist etwas wahres dran.

Lotting, gibt es denn zum 1. April nicht wenigstens ein Pflichtjahrmädchen? Ich weiß, daß das keine Ideallösung oder gar ein Geistesblitz von mir ist, aber es ist insofern eine Erleichterung, als Du Dich dann wenigstens nicht immer in mehrere Teile zerreißen mußt. Große Sorge macht es mir, was Du von Deinen Händen schreibst. Geh um Gotteswillen zum Arzt, daß das nicht chronisch wird sonst sind wir für alle Zukunft aufgeschmissen. Ich würde am aller liebsten sofort kommen, um zu helfen, aber wie soll ich das machen. Nach Deinem Brief ist Mutter wieder auf den Beinen. Wann wird denn die Mu aus dem Krankenhaus entlassen. Sie könnte dann doch die Aufsicht über die Kinder übernehmen, solange sie im Zimmer sind, daß man nicht immer das Unglück entdeckt, wenn es schon nicht mehr zu verhindern ist. Wenn dann die Mutter kocht und das Pflichtjahrmädchen und Du den Haushalt macht, dann ist das Schlimmste wohl überstanden. Nun mal nur Mut, es wird schon irgendwie gehen.

Die Aufstellung über abbezahlte Schulden ist ja märchenhaft. Ich kann nur immer wieder die Endsumme anstaunen. Ich habe nur Angst, daß auch schließlich das auf die Kosten Deiner Nerven geht, denn dauernd ohne Geld dazustehen, geht auch auf Kosten der Kraft. Du bist auch wirklich zu lieb, mein liebes, süßes Kind! Ich lege diesem Brief Mk 8 bei, dann hast Du für den Februar bis jetzt Mk 28,-.     Den Rest schicke ich noch.

Wenn Wöller Dir das Angebot macht über den Ankauf des Grundstücks dann versuche doch mal ihn bezüglich des zur Straße hin gelegenen Teiles des Grundstückes um eine Mk pro qm also statt 4,-   5,- Mk zu steigern. Er ist so wild auf das Grundstück, daß er es, glaube ich tut. Für das Hinterland können wir nicht mehr als Mk 1,- verlangen.

Es grüßt Dich und küsst Dich recht lieb und innig
Dein Mann

Lotti hatte von jedem gut erwirtschafteten Pfennig Abzahlungen der drückenden Geschäftsschulden geleistet, wo es immer ging. Sie bekam als Hausfrau mit fünf Kindern Familienunterhalt vom Staat, da der Mann eingezogen war, was die Existenz sicherte.