Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 3. März 1942

3.3..42

Liebes Lottenkind,

Es scheint endlich die warme Frühlingssonne, auf alles Eis und den Schnee herab. Er muß also doch irgendwann mal auftauen. Ich laufe immer noch hier rum, wie ein aus dem Nest gefallener junger Spatz. Nirgends weiß ich Bescheid und kein Mensch hatte Zeit mich einzuweisen. Gestern Abend war Ernst wieder bei mir. Gott sei Dank habe ich so doch eine bekannte Seele, sonst wäre es noch viel trostloser. Weist Du, der Betrieb bei meiner alten Einheit war doch viel persönlicher. Dazu kam das ausgezeichnete Verhältnis zu meinen Kameraden, besonders zu denen meine Stube, wo ja zuletzt nur noch gebildete Jungens drauf waren. Der ganze Komfort hier wiegt das nicht annähernd auf. Außerdem vermisse ich das Meer. Ich bin in den letzten Tagen in einer freien Stunde noch mal zwischen den meterhohen Eisbergen herumgeklettert, ohne zu ahnen, daß das mein Abschied vom Meer sein sollte.

Hier werde ich wohl die 1. Zeit überhaupt nicht raus kommen. In wenigen Tagen fährt einer der Unteroffiziere in Urlaub und dann muß ich eingearbeitet sein. Wie das gehen soll, weiß der Himmel.

Ich habe Dir schon geschrieben, daß Du mir bitte ein Messer, eine Gabel und einen Löffel schicken möchtest. Bitte tue das möglichst bald. Natürlich nur altes Küchenzeug.

Ich hatte gehofft, am Donnerstag nach Erwin Stoltenhoff fahren zu können, aber daraus wird ja wohl nichts werden. Ebenso den S.V.-Stammtisch muß ich mir vorerst verkneifen. Bei der Sonne ist das Eingesperrtsein besonders blöd. Man möchte einen herzhaften Spaziergang machen. Ist bei Euch jetzt der Frühling eingekehrt? Vielleicht blühen dort schon die Priemeln und die Stiefmütterchen.

Wann wird denn die Mu entlassen? Hoffentlich bald, damit Du wenigstens in der Wartung der Kinder entlastet werden kannst.

Ach Lotting, Du tust mir doch zu leid. Wie gerne würde ich Dir helfen wenn ich nur wüsste wie. Es ist ein scheußliches Gefühl, Euerer Not gegenüber so hilflos zu sein. Spanne mal alles ein, was es an sozialen Hilfsmaßnahmen gibt. Die N.S.V., das Hilfswerk „Mutter und Kind“ und sonst Tod und Teufel. Können nicht Klaus und Ursel für ein paar Wochen verschickt werden? In diesem Falle ist alles richtig, was Dir Entlastung schafft. Ich bin auch mit allem einverstanden, auch mit Sachen, denen ich sonst nicht gerne mein Einverständnis gegeben hätte. Also schreibt mir mal, ob Dir etwas eingefallen ist.

Ich sehne mich übrigens genau so nach Dir wie Du nach mir. Wenn wir unseren gemeinsamen Kummer in einen Topf stecken könnten und ihn zusammen auslöffeln könnten, wäre alles halb so schlimm.

Lötting, ich bat dich mal um ein Stückchen Seife. Kannst Du welche schicken. Postlagernd mit den anderen erbetenen Sachen zusammen? Schreibe mir aber ob und wann Du es abschickst, damit ich rechtzeitig nachfragen kann. Natürlich nicht an den Gefreiten sondern an Herrn Harald E.

Was magst du jetzt gerade tun? Es ist 17,01 Uhr und der Nachrichtendienst beginnt gerade.

Hoffentlich läßt Euch der Tommy wenigstens des Nachts in Ruhe. Wenn der Rum ankommt, schreibst Du es mir. Hoffentlich ist er auf der Reise nicht kaputt gegangen. Abends ein ordendlicher Rum und die Stimmung wird besser und Schlafen kann man wie ein Bär. Hier ist ein erheblicher Tauschhandel Rum gegen Speck oder sonstige erwünschte Nahrungsmittel. Alkohol ist sehr selten und sehr begehrt und wird gern getauscht. Solltest Du so etwas lieber haben als Rom kannst Du es sicher auch tauschen. Es ist ein Liter und kostet 6,- Mk (Wehrmachtpreis). Im Laden ist er viel teurer.

Ich nehme Dich in Gedanken fest in den Arm und gebe dir einen l a n g e n und innigen Kuß

Dein Harald der so gerne bei Dir wär!