Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 6. April 1942

den 6. April 1942

Mein liebes Osterhäschen,

wenn Du diesen Brief bekommst, ist längst kein Ostern mehr, aber ich bin heute in Osterstimmung und davon sollst Du auch etwas mitbekommen. Ich habe gestern am 1. Ostertag ein 3stündigen Spaziergang gemacht und ich glaube, daß er an meiner guten Stimmung die Schuld trägt. Ich konnte gestern Nachmittag freimachen und habe die Gelegenheit benutzt, um Wilhelm Lichtschlag im Marinelazarett Sanderbusch zu besuchen. Bei den göttlichen Bahnverbindungen hier oben in Friesland konnte ich das nur zu Fuß bewerkstelligen. So bin ich denn 3 Stunden über Land gegangen. Das Land erinnert mich etwas an das Münsterland nur daß die Höfe bescheidener in der Landschaft stehen. Daß Frühling ist konnte man nur an den Vögeln sehen und hören. Hier und dort steht eine Windmühle. An 2 sicher sehr alten Kirchen mit einzeln stehendem Turm kam ich vorbei. In 2 Dörfern traf ich von Kindern belagerte Karussells.

Ach Lotting, wo sind die schönen großen Kirmesorgeln hin mit den dirigierenden Engeln

oder den Pauke schlagenden Mooren, die so wunderschönen Krach schlagen konnten. Ich weiß noch genau, wie ich als Junge oft und lange vor diesem „Wunderwerk der Technik“ gestanden habe und Mund und Nase aufgerissen habe. Wenn ich von Weitem das Gedudel des Kirmesplatzes hörte kam ich mit den Füßen kaum noch auf die Erde, so beflügelt wurde mein Schritt. Heute jault ein kümmerliches Gramophon über einen schlechten Lautsprecher irgend einen Schlager. Es gibt keine Standardmusik für Kirmesorgel mehr. Das Schlimmste in diesem Falle aber war, daß ein alter Mann zu den kläglichen Musik aus Leibeskräften die Pauke und die Becken schlug. Immerhin schien es den Kindern hier nicht weniger Freude zu machen, als mir früher die pompösen Orgeln.

Dann ist mir doch aufgegangen, was für ein braves, gutes Volk Adolf Hitler doch hat. Selbst am Osterfest standen die Bauern auf ihren Feldern und in ihren Werken und arbeiteten. Es lag etwas so Selbstverständliches in ihrem Tun, das mich tief beeindruckt hat. Der Gegensatz ließ dann auch nicht lange auf sich warten. Er lief mir in Gestalt eines Parteibonzen – ich kenne mich leider in den Abzeichen nicht aus – in den Weg. Dick, in weithin leuchtender Festtagsuniform mit einem breiten Koppel, der sich wie ein Ledermeridian über den ansehnlichen Bauch spannte, in glänzenden braunen Stiefeln. Satt, zufrieden, strotzend vor Gesundheit und Feiertagsstimmung ging er anhand seiner Frau spazieren. Ob er wohl geahnt hat, wie er auf mich

und sicher auch auf die braven Bauern gewirkt hat, die bei ihrer schweren Arbeit aus Pflichtbewusstsein auch auf den sicher verdienten Feiertag verzichteten. Daß diese Menschen dafür kein Gefühl haben!

Wilhelm fand ich vergnügt in seinem Bette vor. Der Nierenstein, so groß wie eine Bohne, aber ganz zackig, ist am Karfreitag von selbst abgegangen, so daß ihm eine Operation erspart geblieben ist. Seine Frau hatte ihn 2 Tage besucht und er war nun heilfroh, daß er Ostern nicht allein bleiben mußte. Er läßt Dich herzlichst grüßen und freut sich mit mir zusammen, daß Du wieder eine Hilfe hast.

In demselben Krankensaal, in dem Wilhelm liegt, lag auch noch ein Godesberger und zwar der jüngste Lorenz (ehemals Kronprinzenstraße 39?) Ein Bruder der früheren Frau Patschke und jetzigen Frau Busch (heist sie glaube ich). Er hatte einen ganz gehörigen Herzklapps und liegt schon seit Wochen mit Fieber im Lazarett. Er ist 22 Jahre. Der arme Hascher. Es freut mich, aus Deinem letzten Brief zu hören, daß das Päckchen mit der Schokolade so schnell gelaufen ist, da habt Ihr doch wenigstens etwas zu Ostern gehabt. Habt Ihr den Kaffe auch zu Ostern getrunken? Ich habe mir das so schön vorgestellt.

Gestern habe ich übrigens auch versucht, für Dich Mitte Mai Quartier zu machen. Es ist verdammt nicht leicht, denn gerade im Sommer sind die meisten Zimmer schon vorbestellt. Du hast mir auch noch garnicht geschrieben, was Du von meinem Vorschlag bezüglich des Forsthauses hältst. Der Inhaber hat 60 Morgen Land, sodaß mit guter Verpflegung zu rechnen ist. Wenn es Dir nur nicht so einsam ist. Es würde volle Pension 5,- Mk kosten und das 2.Bett 1,- Mk extra, sodaß ein Tagespreis von Mk 6, herauskommt, also genau so viel wie in Husum. Du mußt aber schreiben, was Du davon hälst.

Das Wetter ist hier zu Ostern etwas milder geworden neigt aber zu Schauern und ich habe gestern Glück gehabt, daß ich Truppen nach Sanderbusch gekommen bin.

Über Deinen Osterbrief, der schon Samstag hier ankam, habe ich mich sehr gefreut, selbstverständlich auch ganz doll über die Zigaretten. Aber daß Du schreibst, Du hättest schon lange keine Post mehr von mir bekommen, darüber bin ich ganz fassungslos. Wo stecken die denn blos? Über Helgas Osterbrief habe ich mich auch sehr gefreut. Kann Heidi nicht auch bald selber einen schreiben?

Hast Du die Pflänzchen alle mal angedrückt, weil sie sich durch den Frost wahrscheinlich gehoben haben. Heute Nacht habe ich wieder Nachtdienst, dann schreibe ich weiter. 1000 liebe Grüße und Küsse          
Dein Harald