Harald Endemann an seine Frau Charlotte, Mai 1942 (?)

[undatiert, nach dem 4. Mai 1942]

Mein liebes Lottenkind,

also daran hat es gelegen, daß ich von Dir seit meiner Abreise gar keine Post bekommen habe. Es ist ja scheußlich, daß Du so vom Pech verfolgt bist, es ist aber andererseits ein Beweis dafür, daß Dich die mädchenlose Zeit doch körperlich stark mitgenommen hat. Du mußt also unbedingt eine Erholung haben. Leider habe ich Deine Bescheinigung noch nicht bekommen, sonst hätte ich hier schon Schritte unternommen. Was ist denn mit Helga und ihren Beulen?

Hier haben wir jetzt sehr viel zu tun, da wir eine Menge neuer Unterstellungen bekommen haben. Jürgens Geburtstag habe ich hier anscheinend würdiger gefeiert als Ihr. Ich hätte ihn am liebsten ganz für mich gefeiert mit Gedenken an ihn und Dich. Da ich aber nicht allein war und nicht sein konnte, habe ich mit meinen Kameraden eine Flasche Wein auf sein Wohl getrunken und zwar abends auf der Dienststelle. Es war sehr nett.

Heute habe ich nun Nachtdienst, der jetzt auch viel lebhafter geworden ist.

Der Tommy ist jetzt anscheinend nach den Vergeltungsangriffen etwas vorsichtiger geworden, bei uns ist er wenigstens nur noch ganz zaghaft gewesen. Hoffentlich bei Euch nicht mehr.

Du nimmst doch wegen deines Pfödchens gleich wieder Kurzwelle?

Der Wiel ist mit seiner Forderung ja wahnsinnig. Ich werde ihm das schreiben. Die Mk. 382,02 an die Stadthauptkasse W-Barmen Postscheckkonto Köln 6550 für Erben Engels Unterhaltungskosten Linienstraße (Ablösung) Konto 661/42 bitte ich, bei nächster Gelegenheit zu zahlen. Dann schreibe mir bitte sofort, wie viel Geld noch auf dem Konto Engels ist, wenn der Betrag an die Stadt gezahlt ist.

Morgen Nachmittag habe ich vielleicht frei. Ich will dann mal nach Wilhelmshaven zum Stammtisch des S. V. fahren. Vielleicht treffe ich dort den Vater meines alten Fuchsmajors aus Marburg, Hengst. Zu Erwin will ich natürlich auch mal reinspringen.

Wie schade, daß mein letzter Urlaub so kurz war. Ich habe ihn so schön genossen. Das herrliche Frühlingswetter hat auch noch dazu beigetragen, daß ich mich sowohl unfroh gefühlt habe.

Der Stock hat also schon seine Wirkung getan! Er darf aber nur bei wirklichen Disziplinschwierigkeiten in Aktion treten und nicht bei jeder Gelegenheit. Wenn aber dann tüchtig! nur nicht damit drohen und dann nicht brauchen. Es muß bei den Kindern ein ehernes Ge-

setz sein, daß auf groben Ungehorsam der Stock unweigerlich kommt.

Für die Zigaretten danke ich Dir herzlichst. Man freut sich heute über Zigaretten so wie früher über Gott weiß was.

Vor ein paar Tagen schickte ich Dir das Reich und heute zur Belohnung für die Zigaretten noch mal eins.

Ich wünsche Dir und der Helga und der Heidi recht gute Besserung. Gib nur acht, daß Heidi immer gut verbunden ist, damit sie keine weiteren Kinder ansteckt, wie Ihr das offenbar gemacht habt. Gib auch bitte acht, daß der Nagel bei Heidi nicht verkrüppelt.

Hier ist immer noch kein Frühling und was schlimmer ist, kein Regen. Die ganze Gegend versteppt. Der Wind bringt dauernd sandte mit und unserer Flieger sagen, daß Sand und Staub bis 700 m hoch treiben. Es sei, wie in der Wüste, die ganze Erde sei unterwegs. Wo soll das hin? Wenn Du jetzt doch nicht arbeiten kannst, dann geh doch mal zu Hüllen. Es darf auf keinen Fall passieren, daß Ihr ohne Kartoffeln dasitzt. Hüllen muß es Dir fest versprechen. Du mußt ihm mal schildern, wie es uns gegangen hat, und vergiss nicht Frau Hüllen.

So nun bekommst Du einen lieben Kuß und die Kinder und die Omis herzliche Grüße.
Dein Harald

Anmerkung Stefanie Endemann: Diese Erziehung mit dem Stock galt als normal. Das Gerät wurde meines Wissens von der Mutter nur im Notfall eingesetzt; häufiger waren Ohrfeigen. Meine Schwester erinnert sich gut an die schmerzhaften Watschen von der Hand mit dem Siegelring. Ich als Nachgekommene kann mich nur an eine einzige Ohrfeige erinnern. Die Zeiten waren ruhiger. - Ich wüsste allerdings auch nicht, wie eine quasi alleinstehende Mutter mit einem derart quirligen Verein und unter diesen äußeren Belastungen ohne drastische Mittel klarkäme. Meine Geschwister verübeln ihr jedenfalls diese Verfahren in keinster Weise.