Harald Endemann an seine Frau Charlotte, Januar 1944 (?)

[undatiert, wohl Jever, Januar 1944]

Mein liebes Lottenkind,

Es ist Sonntag und ich hoffe, daß man mich etwas in Ruhe gelassen wird und mich nicht mit irgend einer Nichtigkeit stört. Ich möchte endlich mal wieder 1 Stunde mit Dir zusammen sein. Bisher bin ich nicht zum Schreiben gekommen, nicht weil ich keine Zeit gehabt hätte, sondern weil ich einfach nicht in Stimmung war.

Es ist eigentümlich, wie sehr ich im Bezug auf das Schreiben von Stimmungen abhängig bin. Mal gehen mir die Briefe flott von der Hand und ich schreibe an Hinz und Kunz und dann will es mal wieder gar nicht gehen. Ich hoffe aber nun die Flaute überwunden zu haben. Ich hatte dieser Tage eine ganz seltsame Unruhe in mir, die mich regelrecht umgetrieben hat. Ich mußte gleich nach Dienstschluss raus und so habe ich sämtliche bekannte der Reihe nach überfallen. Ich hatte auch keine Ruhe zum Arbeiten. Ich glaube, der Klimawechsel ist teilweise daran schuld. Wie mir Godesberg in den ersten Tagen auf den Darm schlägt, so fällt mir Jever zuerst auf die Nerven. Ich will nun von vorne anfangen zu erzählen, sonst bekomme ich keinen Grund hinein.

Meine Fahrt von Köln nach Jever war entgegen meinen Befürchtungen gar nicht so schlimm. Der Fronturlauberzug, der mit halbstündiger Verspätung in Köln einlief, war derart voll, daß nicht 1/10 der Menschen, die mitwollten, hinein konnten. Ich sagte mir daher sofort, daß der Reichsbahn gar nichts anderes übrig bleiben würde, als den öffentlichen Nacht-D-Zug für Soldaten freizugeben. Ich habe mich daher garnicht erst an dem Kampf um den Zug beteiligt, sondern bin spornstreichs zum Bahnsteig 1 gerannt und habe mich in den noch fast leeren

D- Zug, der in Köln eingesetzt wird, und der gerade eingelaufen war, gesetzt. Kaum saß ich, dann kam durch Lautsprecher die Freigabe durch. Der Zug wurde nun im Umsehen voll, aber der liebe Jung saß. Von Bremen aus habe ich dann teilweise gestanden, aber das ist ja nicht mehr doll. Hier fand ich viel Arbeit vor, denn meine Vertretung hatte sich in den Weihnachtstagen nicht sonderlich strapaziert, was ich ihr auch garnicht übel. Ich mußte also tüchtig ran. Silvester bekamen wir etwas früher frei. Der Plan, nach dem ich in der Silvesternacht Dienst hatte, war wieder einmal umgestoßen worden. Ich mußte sofort nach meinem Eintreffen Nachtdienst machen. So entschloss ich mich, um der Meute betrunkener Kameraden zu entgehen, einen großen Spaziergang zu machen und alle Bekannten der Reihe nach im alten Jahr nochmals zu besuchen. Ich fing auf Burg Husum bei Fleßners, dem Bauern zu dem ich Dich

damals mitnahm an. Ging dann um ½ 8 nach Cleverens zum Kriepenkerl, wo ich die Göbbelsrede mit hörte und ging anschließend zu Carels, wo ich bis zum neuen Jahr blieb. Überall wurde ich sehr herzlich aufgenommen. Ich lerne je länger je mehr diese friesischen Menschen schätzen. Es ist wirklich ein prachtvoller und intelligenter Volksstamm. Als dann um Mitternacht die große Glocke zu schwingen und zu dröhnen begann, da ist es mir um kein Haar anders gegangen als Dir, mein Lotting. Ich war von einem Gefühl grenzenloser Dankbarkeit gegen das Schicksal und gegen Dich erfüllt. Wie ist doch auch im vergangenen Jahr alles gnädig an uns vorüber gegangen, was uns leicht unendlichen Schmerz hätte bereiten können und wie haben wir vieles genießen dürfen, daß wir uns am Jahresanfang nicht zu träumen wagten. Möge es so bleiben!

Die folgenden Tage bin ich auch dauernd auf Ritt gewesen. Forsthaus Kantine, Carrels, usw. An den letzten beiden Tagen bin ich dann sehr früh zu Bett gegangen und nun hoffe ich die Akklimatisation hinter mir zu haben. Deine lieben Briefe, ich habe deren jetzt 3 erhalten, haben mich sehr erfreut und mir in der Überwindung des Gefühls des Losgerissenseins, das mich immer nach einem Urlaub überfällt, geholfen.

Ich will nun erst einmal, bevor ich es vergesse, Deine Frage im Brief vom 2.1.1944 beantworten. Ich halte es für richtig, wenn Du im Monat 150,- Mk erübrigen kannst, es mit Kassel bei 50,- Mk bewenden zu lassen, 50,- bei der Sparkasse stehen zu lassen und 50,- Mk in einem sicheren Behältnis im Keller aufzuheben und anzusammeln. Es muß natürlich so aufgehoben werden, daß die Kinder es nicht verschleppen können. Wir warten, wie mir scheint, mit der Vergeltung auf die Invasion, da unsere neue Waffe dann auf besonders große Menschenansammlungen trifft und die Wirkung entsprechend groß sein wird. Die Vergeltung wird übrigens reichlich ordinär ausfallen und es ist damit zu rechnen, daß der Tommy entsprechend reagieren wird, solange er kann. Daher V o r s i c h t ! Ich rechne mit Kampfstoff. Phosphor ist ja schließlich auch Kampfstoff. Richtet euch so gut es geht ein und beachtet Verhaltensmaßregeln in der Zeitung. Ich glaube ja nicht, daß Godesberg das Ziel sein wird, aber Vorsicht ist geboten. Es treibt jetzt alles mit Riesenschritten auf die Entscheidung los. Hoffentlich schaffe ich es noch einmal vorher mit einem Kurzurlaub. Müssen in diesem Jahr wieder Steuererklärungen abgegeben werden? Ich müsste dann die Jahresabrechnung Holbach, Salvini und Engels noch machen. Bereite bitte alles weitmöglichst vor. Ich hoffe in der nächsten Zeit mal eine Kurierfahrt nach Stade zu bekommen. Ich würde mich freuen, die alten Kameraden und Langes mal wiederzusehen.

Was Du mir von Mutter schreibst, ist ja wenig schön.

[Rest fehlt]