Harald Endemann an seine Mutter, 25. Juli 1942

Stabsquartier, den 25. Juli 1942

Mein liebes gutes Mutterchen,

ich kann auf diesem Papier mit Tinte nicht schreiben, deshalb nehme ich die Schreibmaschine. Entschuldige das bitte, aber ein Brief mit Schreibmaschine ist doch wesentlich besser als überhaupt keiner. Findest Du nicht auch.

Nun ist Dein Geburtstag schon nahe herangekommen. Wenn dieser Brief bei Dir ist, wird es schon so weit sein. Ich nehme Dich recht lieb in den Arm und gebe Dir eine ganze Portion herzhafter Geburtstagsküsse. Hoffentlich bleibst Du uns recht frisch noch recht lange erhalten. Du mußt mir mal schreiben, wie es Dir geht. Hat die Krankenhauskur gut getan? Hoffentlich kannst Du Dich im lieben Hessenländchen recht gut nach erholen. Ich wünsche Dir nur besseres Wetter, wie es Lotti hier gehabt hat. Ich habe sie heute Morgen um 5,18 an die Bahn gebracht und jetzt, nachmittags, wo ich diesen Brief schreibe, ist sie schon zu Hause. Sie hat die ganzen 10 Tage hier im Bau gesteckt, nur gestern nachmittag sind wir, obgleich das Wetter auch recht unsicher war, etwas im Wald gewesen, der ein Glanzstück von Jever ist. Lotti wird Dir ja wohl von diesen Tagen in Ihrem Geburtstagsbrief geschrieben haben. Die Verpflegung war für Kriegszeiten märchenhaft gut. Die Leute, bei denen ich sie untergebracht hatte, waren ganz reizend und haben rührend gesorgt. Allein 30 Eier haben sie uns gegeben. Dazu hatte ich Wurst aus Dänemark für gesparte Zigaretten besorgt, so daß Lotti hier richtig auf die   Fettweide gegangen ist. Wir waren auch vor Sattigkeit recht von innen her gut gelaunt, trotz des schlechten Wetters. Auch im Hof von Oldenburg, wo Lotti mittags aß, waren die Portionen wundervoll. Es gab für 50 Gr. Fleischmarken mehr als in Godesberg für 150 Gr. , dazu reichlich Gemüse und wundervolle Kartoffeln in wahren Bergen. Ich glaube, daß diese 10 Tage mit ihrem vielen Schlaf und dem guten Fütterchen Lotti noch sehr gut getan haben, denn in Stettin war alles doch sehr knapp, wenn es auch sonst eine recht schöne Zeit für Lotti war.

Ich schreibe Dir das alles so ausführlich, weil ich Dich verführen will, mich auch mal hier zu besuchen. Sag mal, wär das nicht fein! Das Doppelzimmer, daß ich für Lotti gemietet hatte, kostete 3,- Mk pro Tag. Dafür wurde noch 2-3mal am Tag eine Kanne Kaffe geliefert, hie und da auch Bratkartoffeln und Kartoffelsalat oder Milch. Für Brot habe ich gesorgt, das Mittagessen kostete meistens 1,50 Mk, das Abendessen, soweit wir überhaupt draußen gegessen haben, etwa 1,20 – 1,50. Da kannst Du Dir ungefähr ausrechnen, was es hier kosten würde. Die

Reise 3. Kl. D-Zug nach Godesberg kostete 22,00 Mk. So nun schreibt mal was Du von der Idee hältst?

Wie kommt Ihr denn in Melsungen mit den Karten zurecht? Wann fährst Du nach Frielendorf oder Nassenerfurt? Denke bitte daran, Dich mal um zu sehen, ob Du Erbsen oder Bohnen oder sonst irgendetwas Haltbares für den Winter bekommen kannst. Ich glaube nach wie vor, daß er sehr schlecht werden wird.

Wie geht es denn der lieben Nanna, wie Meyers und Tante Lina? Was machen Spangenbergs und die anderen Melsunger Bekannten?

Rektors (s. Päda)oder besser gesagt Majors haben offenbar keine Anzeigen verschickt, denn weder ich noch Erwin Stoltenhoff, den ich übrigens mit Lotti auch mal besucht habe, hat eine bekommen.     Wie froh bin ich, daß ich die Mühe nicht geschäut habe, im Geburtstagsständchen zu seinem 83. Geburtstag mit zu blasen. Ich hatte so ein Gefühl, daß es das letzte Mal sein könnte. Nun ist es schneller gekommen, als ich gedacht habe. Es wird sich ja nun wohl auch bald entscheiden, was aus dem Päda wird. Da der Major keinen seiner Söhne zu seinem Nachfolger heranzieht, wird ja wohl eine Veränderung bevorstehen, die mann meines Erachtens nur bis zum Tode des Rektors verschoben hat.   Es baute so eines nach dem anderen so langsam ab, an dem man gehangen hat. Das merke ich mit meinen lumpigen 39 Jahren schon und es gibt nicht viel Neues, woran man sein Herz hängen möchte.

Ich habe in der letzten Zeit wieder tüchtig abgenommen, sodaß ich bald ganz auf der Normalform angekommen sein werde. Manchmal bin ich allerdings ein bisschen schlapp, aber das sind alle.

Ich habe nun hin und her überlegt, womit ich Dir eine Geburtstags Freude machen könnte, aber es will mir nicht einfallen. Es ist in Krieg ja so eine vertrackte Sache mit dem Schenken. Theo liegt immer noch im Lazarett, weil seine Wunde nicht heilen will. Ich bin ganz froh darum, denn sie schützt ihn vor den Kämpfen,die jetzt gerade an seinem Frontabschnitt toben.

Die russische Front wird ja augenblicklich in 2 Teile zerschnitten. Ich glaube doch, daß er, der Russe, in diesem Sommer so geschwächt wird, daß er uns im kommenden Winter nicht mehr sehr wenig tun kann. Vor allem wird er bitterem Hunger zu leiden haben, denn wir werden ihm sicher noch Murmansk, die letzte Tür zur Welt, wegnehmen.

So, nun bekommst Du noch einen recht lieben Kuß und ein ganzes Paket lieber Wünsche für Deine Gesundheit und Dein Wohlergehen    

von Deinem Jung, der recht lieb an Dich denkt.

Grüße bitte Marina und alle lieben Bekannten