Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 19. Januar 1943

den 19.1.43

Mein liebes Lottenkind,
Mein herziges Frauchen,

wie gerne hätte ich für diesen Brief eine ruhige Stunde, in der ich mich so recht den Gedanken, die mich bewegen, hingeben könnte, gehabt. Ich hatte immer gehofft, es würde sich noch eine rausschinden lassen, aber es war nicht möglich. Gestern nahm mir die Wehrbetreuung die letzte Möglichkeit, in dem sie mich mit einer Theaterkarte für den „Graf von Luxemburg“ Hals über Kopf nach Hamburg schickte. Das war ja nun an sich kein Fehler, denn die Aufführung (Theater an der Reeperbahn) war recht nett und Fliegeralarm gab es auch keinen. Ich schreibe diesen Brief nun hinter Aktenbergen verborgen und hoffe, nicht entdeckt zu werden.

Mein liebes, süßes Frauchen nun sind wir 10 Jahren verheiratet, haben ein schönes, gemütliches Heim und 5 prächtige Kinder und - haben uns genau so lieb wie zu Anfang. Ist das nicht eine großartige Bilanz. Dem gegenüber sind die Schönheitsfehler, die Sorgen, das Getrenntsein usw. meines Erachtens gering zu veranschlagen, so schmerzlich ist z.Zt. auch sein mag. Wenn ich so die ganze Zeit unserer Ehe und auch die Zeit davor an mir vorbeiziehen lasse, dann ist es vor allem immer wieder das heiße Gefühl des Dankes gegen Dich, dass mich erfüllt und dem kann ich in einem solchen Brief nur so sehr unvollkommen Ausdruck geben. Ich möchte Dich an mich reißen und Dich mit Küssen und Liebkosungen zu decken und Dir sagen, wie unendlich lieb ich Dich habe, aber das brauchte ich dann gar nicht mehr,

denn das würdest Du so merken. Statt dessen sitze ich hier und Chile hinter meinen Akten raus, ob es auch niemand merkt, dass ich einen Privatbrief schreibe. Ach liebes Lottenkind, wie wenig „privat“ ist man doch als Soldat und wie sehr hätte man es nötig, ab und an „privat“ sein zu können. Das ist es auch, was den Urlaub neben vielem anderen so wohltuend macht. Wie schön war doch wieder der letzte Urlaub, wie herrlich beglückend das Gefühl, eine solche Familie zu haben.

Heute vor 14 Tagen war ich noch bei Euch, wenn auch nur noch auf Stunden. Der nächste Urlaub ist noch so weit, dass es keinen Zweck hat, sich auf ihn zu freuen und auf ihn zu zu leben, sonst nimmt die Zeit gar kein Ende. Und doch ist der Urlaub die einzige Zeit, die im Krieg zählt und die in der Erinnerung bleibt. Alles andere verschwindet auf nimmer wieder sehen im Strudel der Zeit. Es lohnt auch nicht. So besteht ein Jahr dann eigentlich nur aus den 2 × 16 Tagen und den paar Tagen die man, wenn man viel Glück hat, noch dazu ergattert.

Am 31. werde ich von der Einheit mit Wilhelm Lichtschlag zusammen als Vertreter in ein Konzert (Trio und Sängerin) geschickt. Da werde ich dann wenigstens abends eine Feierstunde haben. Vielleicht lade ich Wilhelm hinterher zu einem Glas Bier ein. Ich werde dann von Dir und den Kindern erzählen und wahrscheinlich schreckliches Heimweh bekommen. Heimweh kannte ich früher garnicht, es stellt sich aber je länger die Trennung dauert immer häufiger ein. Es ist ein Gefühl, dem man – finde ich – völlig hilflos ausgeliefert ist.

Nun tritt der Krieg so langsam in sein entscheidendes Stadium, wie ich es für das Frühjahr 1943 vorausgesagt

habe. Die Krisis erwarte ich allerdings erst im Mai -Juni. Gott gebe, dass wir sie überstehen. Es wird eine Riesenanstrengung werden und jeder muss bis zum Letzten seine Pflicht tun. Das furchtbare Schicksal unserer Stalingrad Kämpfer bedrückt mich z.Zt. auch sehr. Man darf garnicht daran denken, dass 100000de deutsche Soldaten dort unter den furchtbarsten Entbehrungen darauf warten abgeschlachtet zu werden, ohne den leisesten Schimmer einer Hoffnung. Die die vorher verhungern sind noch am Besten dran. Es ist ein furchtbar, quälender Gedanken. Hoffentlich lässt uns der Krieg gesund und leistungsfähig, damit wir nach seinem Ende mit Spannkraft an unseren neuen Aufgaben gehen können. Da muss ich nun noch auf etwas zu sprechen kommen, was mir ernstlich Sorgen macht, min Lött, und das ist Dein Herz. Gehe bitte bald – nein sofort – zu Schampel (=Hausarzt) und lass Dich behandeln. Er wird sicher etwas wissen, was Dir hilft. Lass es aber ja nicht anstehen, damit es zu keinem Zusammenbruch kommt, der womöglich schwere Folgen haben könnte. Tue mir bitte den Gefallen und schreibe gleich, damit ich weiß, was los ist.

Als Du am Sonntag anriefest, habe ich mich sehr gefreut auch über die Kinder Stimmchen. Es wurde mir richtig warm ums Herz. Ich ahnungslose Engel wollte dann am Sonntag Nachmittag, von dem ich mir etwas Ruhe versprach, schreiben. Weit gefehlt, es wurde sehr lebhaft, sodass ich wieder nicht zum Schreiben kam. Hier läuft gerade der Film “ Wir machen Musik“ und ich hätte ihn mir gerne nochmals angesehen, schon weil ich dann die schöne Erinnerung gehabt und Dich neben mir gespürt hätte,

Einen lieben Kuss an die Kinder und die Omis

 

(Zeichnung, betitelt entartete Kunst: Figur mit „10“ - für 10. Hochzeitstags, basiert auf zwei Herzen, umschwebt von fünf Figürchen für die 5 Kindern, die drei Fragezeichen nach sich ziehen)