Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 27. März 1943

O.U.,     den 27.3.43

Mein liebes, liebes Lottenkind,

Eben kommen Deine beiden lieben Briefe vom 24. und ich kann Dir nur sagen, dass ich mindestens eben soviel Spaß daran gehabt habe, Dir diese Freude zu machen, als Du gehabt haben kannst, sie zu genießen. Das Mutter da nicht mitkommt, lass Dich nicht anfechten. Es ist von jeher schwer gewesen, ihr eine Freude zu machen, geschweige denn, sie zu überraschen. Das ging immer in den Teich. Ich aber kenne doch mein Lött und kann mir gut vorstellen, wie Du Dich gefreut hast und wie behaglich Du Dich gefühlt hast und damit habe ich Alter Ego ist mir wieder eine große Freude gemacht.

Ich habe heute ein Paket an Dich abgeschickt leider ist das keine Freude sondern nur schmutzige Wäsche. Damit die Enttäuschung aber nicht gar so groß ist, habe ich einige Sachen, die ich hier in der Kantine kaufen kann hineingesteckt. Packe es bitte vorsichtig aus, damit (es) nicht verloren oder kaputt geht. Es sind drin Schließnadeln, Fleckenwasser, Nähnadeln, Zwirn, Zahncreme, Mandelöl (bitter)und ein Büchlein von Rudolf Kinan (?), Von dem ich Dir schon erzählte. Das Büchlein enthält auch die Geschichte „Weihnachtsabend“, die mir Weihnachten so viel Freude bereitet hat. In das niederdeutsche Platt wirst Du Dich sehr schnell einlesen. An einen Schließnadel habe ich auch 2 Lederplättchen für Wasserkranendichtung angesteckt. Die Wäsche schicke mir dann bitte gewaschen zurück. Noch eine Bitte, schicke ich Dir gute Unterhosen, so schicke mir bitte eine alte dafür wieder und behalte die gute da. Auf diese Weise frischen wir dann mein Bestand an Unterhosen auf.

Die Marke auf dem Paket schneide vorsichtig mit dem ganzen Stempel aus und hebe sie sorgfältig auf (kindersicher), sie ist wertvoll. Dasselbe mache bitte

mit allen Sondermarken, die ich auf Briefen oder Karten oder sonst wie schicke. Bei Karten und Briefen hebe bitte die ganzen Umschläge bzw. Karten auf.

In dem Paket befinden sich 5 Filme eines Bekannten, der sie hier in Stade nicht mehr entwickelt bekommt. Bringen Sie bitte zu Biederbick und lasse von jeder gelungenen Aufnahme 1 Abzug machen. Denke dabei auch bitte an meinen Film.

Ich habe seinerzeit, ich glaube es war im Weihnachtsurlaub – ein Reclamheftchen „Ein Schritt vom Wege“ mitgebracht, daß ich dann vergessen habe. Es gehört Wilh. Lichtschlag und er will es wieder haben. Schicke es bitte mit.

Ich habe noch vergessen zu sagen, dass ich von den Sachen, die ich in dem Paket an Dich geschickt habe, angenommen habe, dass es sie in Godesberg nicht mehr gibt. Du schreibst mir ja nicht, was Dir fehlt, also muss ich raten.

Bei Heinz Büchner auf dem Büro sitzt ein nettes Mädel, die in Godesberg ausgebildet worden ist. Als Heinz ihr sagte, dass ich Godesberger sei, fragte sie u.a., wo ich wohne und als ich ihr das beschrieb, sagte sie gleich, das ist das Haus mit den 5 Kindern und kannte auch die Vornamen. Sie sei, da sie ziemlich klein sei, immer am Schluss marschiert und habe gewöhnlich 2 an der Hand gehabt. Du möchtest die Kinder mal fragen, ob sie noch ihre Tante Rie kennten.

Hier ist es jetzt regnerisch geworden, aber umso herrlicher ist der Erdgeruch der durch das Land zieht. Vor meinem Fenster auf einem weit gestreckten Hügel pflückt ein Bauer mit 2 schweren braunen Pferden. Die Erde ist fast schwarz. Ich werde an Werner Peiner erinnert. Es ist doch seltsam, dass ich es überall, wo ich hin komme schön finde, während die meisten Kameraden jammern wohin sie das Schicksal verschlagen habe. Es muss doch zwei-

erlei Augen geben. Genau so geht es mit den Menschen. Der Lanzer findet alle stur. Ich dagegen habe eine kleine Liebe zu den Niederdeutschen hier oben an der Wasserkante. Der feine Humor, der auch aus Rudolf Kinan spricht, ist hier weit verbreitet. Auch Lehrer Lange hat ihn und Carels ja in etwa auch. Die Menschen sind fest und knorrig, nicht so gelöst wie der Rheinländer oder der Ostmärker aber verlässlich und echt. Gestern Nachmittag habe ich ein Bad genommen in einer ganz hübschen Stader Badeanstalt. Ich will das jetzt jede Woche tun, damit ich nicht wieder so verdreckt. Bei uns im Lager ist immer noch keine Waschgelegenheit. Die Waschbaracke steht noch genau wie im Dezember. Wenn man das jemanden erzählt, der glaubt es gar nicht.

Hptm. Bauer gab mir gestern eine Druckschrift „Offizier und Rekrut“ zu lesen, sie ist vom Oberleutnant Ellenbeck, dem Sohn des ehemaligen Schulrates Ellenbeck aus Gummersbach, der früher viel am Päda die Prüfungen abnahm. Der Inhalt ist begeisternd, leider sind beim Lesen auch der riesenhafte Unterschied zwischen dem Soll und dem Ist klar.   Beruhigend ist nur, dass man höheren Orts – Ellenbeck ist im Generalstab – offenbar die Menge kennt und beginnt, dagegen vorzugehen. Gott gebe Erfolg! Aber so sind die Offiziere, die auf ihre Bequemlichkeit verzichten werden, um ihre Pflichten zu erfüllen. Hoffentlich gibt es an der Front solche! Es muss schon, sonst wären die Leistungen der Truppe nicht erklärlich. Ein Heer mit lauter Offizieren des von Ellenbeck geforderten Typs wäre unüberwindlich, eine unfehlbare Waffe in der

Hand des Führers.

Hier ist ein gefangener Russe, er ist Lehrer und spricht Deutsch, mit ihm unterhalten wir uns schon mal verbotenerweise. Er sagte neulich, Deutschland ist viel kultivierter als Russland. Stalin hat noch keine Zeit gehabt Kultur zu schaffen. Er muss erst alle Macht haben. Nach seinen Siege aber, werden die russischen Fabriken alles machen, was zum guten Leben gehört. Russische Kultur wird dann überall hinkommen. So ungefähr drückte er sich aus. Er verwechselt natürlich Zivilisation und Kultur. Es zeigt aber doch, dass in jedem Tyrannen ein Weltbeglücker steckt. Stalins Pech ist, dass er auf Hitler stößt, stieße er auf ein schwaches Europa – und ohne Hitler wäre es schwach – dann wäre vielleicht die große Stunde des russischen Volkes da. So nun rate ich Dir, meine vielen Bitten aus diesem und den vorigen Briefen auf einen Zettel zu schreiben, sonst vergissest du sicher vieles.

Dass das Lesersche Geld da ist, ist ja famos und dass wir nun keine neue fremde Hilfe brauchen, ist noch besser. Führe es bei den Einnahmen, die Du dem Landratsamt angibst, nicht mit auf. Wir verrechnen es am Schluss des Jahres. Es kommt mir beinahe wie geschenktes Geld vor, denn ich hatte kaum noch damit gerechnet. So nun küsse ich Dich recht recht lieb

Dein Mann.