Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 18. Mai 1943

[nach dem 17.5.1943]

Mein liebes Lottenkind,

Leider kommt dieser Brief nicht mehr, wie ich es gewünscht hätte, am Sonntag bei Dir an. Wir haben hier mit den fast täglichen Angriffen des Tommy alle Hände voll zu tun. Es geht täglich bis in die tiefe Nacht hinein. Da kann man die Gedanken zu einem Brief nicht mehr sammeln. Außerdem engt die Baracke die Gedanken ungebührlich ein. Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich Dir schon für das Paket gedankt habe. Dein Brief mit den Zigaretten und der mit der Raucherkarte ist auch angekommen. Hab recht herzlichen Dank für alles. Ein Brief von Dir ist und bleibt nun mal das Schönste was ein Tag bringen kann.

Im Augenblick beeindruckt mich neben dem Geschehen hier am meisten die Katastrophe, die durch die Bombardierung der Möhne-und Edertalsperre (Anm. Nacht 16./17.5.1943) hervorgerufen wurde. Ich hörte heute von Inspektor Dahnke, der einen Brief aus Kassel erhalten hatte, dass durch Kassel 1000de Stück totes Vieh über 100 tote Menschen, Bäume, ganze Dächer von Häusern und Scheunen usw. getrieben sind. Furchtbar soll die Gegend von Felsberg-Gensungen aussehen. Mutter kennt das alles, es liegt nicht weit von Melsungen. Der Tommy hat nachts im Tiefflug die Sperrmauern bombardiert und zerstört, darauf haben sich die vielen Millionen cbm gestauten Wassers in die Täler ergossen und haben alles um barmherzig wich gerissen. Es ist ein scheußlicher Krieg.

Am liebsten möchte ich mit Dir und den Kindern in einem fernen Winkel der Erde ziehen und dort mein Kohl bauen möglichst weit vom nächsten Nachbarn weg. Es ist vielleicht ganz gut, daß man nicht immer zum Nachdenken kommt. Ich bin seit meinem Osterurlaub noch nicht mal wieder bei Carels gekommen und noch nicht zum Haarschneider und sehe daher aus, wie ein Wunderdoktor oder sonst ein komischer Heiliger. Ich habe immer noch auf einen baldigen Urlaub gehofft, muss aber meine Hoffnung wohl aufgeben, wenn der Tommy in demselben Tempo weiter angreift wie in den letzten Tagen. Heute konnten wir über unseren Platz Luftkämpfe in 6000 m Höhe beobachten und sagen auch 3 Abschüsse. Der Tommy greift jetzt immer in geschlossenen Pulks von 100-200 viermotorigen Maschinen an. Wenn er Bomben wirft dann webt für mehrere Sekunden die Erde wie bei einem Beben, denn er wirft immer Hunderte zu gleicher Zeit. Man kann die einzelnen Detonationen nicht mehr voneinander unterscheiden. Unsere Abschusszahlen sind gut, trotzdem unsere Jäger einen sehr schweren Stand haben. Nachts haben wir auch häufig Alarme, aber sie waren bisher nicht allzu doll. Ich erwarte für die allernächste Zeit (etwa 3 Wochen), dass eine Offensive gestartet wird.

1000 recht liebe Grüße von
Deinem Harald.

Morgens schmeißen sie uns jetzt schon um 6 Uhr aus den Betten.