Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 9. Mai 1944

9.5.44

Mein liebes Lottenkind,

hoffentlich komme ich heute in der Absicht, Dir endlich mal wieder einen richtigen Brief zu schreiben, über den Anlauf hinaus. In den letzten Tagen sind mehrere Blätter mit ein paar nichtssagenden Zeilen wieder in den Papierkorb gewandert. Es war seit meinem Urlaub hier ganz toll. Während meiner Abwesenheit hatte der Stab (uns?) in eine verlassene Flakstellung verlegt. Da sitzen wir nun im freien Feld in Steinbaracken, die bis zum Dach in die Erde eingebuddelt sind und noch mit einer Tarndecke überspannt sind. Das bedingt,daß wir Tag und Nacht Licht brennen. Außerdem sind zwischen den einzelnen Büros Wege von 3-4 Minuten. Immerhin dürfte es hier relativ sicher sein. Unser Kommodore ist seit 28.4. nicht mehr Obstlt. Graf sondern Obstlt. Ihlefeld. Graf ist noch in Engen (?) und man hat meines Erachtens die Gelegenheit benutzt, ihn abzuschieben. Vielleicht hat ihm doch der Fußball den Hals gebrochen. Hier war es hundekalt die ganze Zeit und ich habe es schon sehr bereut, daß ich meinen Pullover zu Hause gelassen habe.Heute scheint nun zum ersten Mal die Sonne aber kalt ist es trotzdem noch. Gestern hatten wir schwere Luftkämpfe in unmittelbarer Nähe des Platzes. Sie waren aber so hoch, daß wir in unseren Baracken nichts davon gemerkt hätten, wäre ich nicht zufällig herausgeklettert, um zu einem anderen Büro zu gehen. Da sehe ich plötzlich einen dunklen Wolkenball am Himmel, in dem es eine Sekunde lang rot aufglüht. Dann regnen aus dem Wolkenball Feuertropfen heraus. Es löst sich ein dünner Rauchstrich ab langsam der Erde zu, wo wenige Sekunden später ein großer schwarzer Rauchpilz aufquillt. Ein Abschuß. Ich rufe meine Kameraden und wir sehen nun nacheinander 12 Abschüsse. Unterdessen sehen wir auch die Feindverbände mit breiten weißen Kondensstreifen an uns vorüberziehen. Es war ein schaurig schönes Bild. So sehr wir uns über die Abschüsse unserer Jäger freuten, so mußten wir doch feststellen, daß sich die Pulks trotz aller noch so tapferen Angriffe unserer Jäger nicht um einen Zentimeter von ihrem vorgesetzten Kurs abbringen ließen. Unser Geschwader hatte etwa 40 Abschüsse gestern, aber was ist das bei etlichen 100 Bombern mit mindestens genausoviel Jägern auf der Feindseite? Mit meinem Urlaub sieht es im Augenblick recht schlecht aus. Maralydia Canisius ist zwar wieder hier erschienen am 2. Mai, ist aber vom Adjutanten sofort wieder in einen

wichtigen Genesungsurlaub nach Hause geschickt worden, obwohl er weiß, wie sehr ich auf Urlaub warte.Nun heißt es abwarten. Ist etwas Wichtiges in der Zwischenzeit geschehen? Haben die Versicherungen gezahlt. Ich schickte Dir in einem meiner wenigen Briefe ein Schreiben der Rechtsanwälte Dr. Früchte und Paulmann aus Kassel. Hast Du es bekommen und erledigen können? Ich hatte Dich außerdem um 20 Mark gebeten, da ich hier Sekt habe kaufen können. Schade, daß wir uns bei dem Telefongespräch nicht besser verstehen konnten. Ich war schrecklich aufgeregt dabei und das kam so. Du hattest mir eine Brief geschrieben, in dem Du mir mitteiltest, daß die kleine Ursula in Büderich (sc. bei Trude Herkenrath) sei und daß Du seit dem Angriff auf Düsseldorf keine Verbindung bekommen könntest. Ich machte mir nun auch Gedanken und Sorgen. Mit einem Mal ging das Telephon und die Vermittlung fragte mich, ob ich das Gespräch mit meiner Frau bekommen hätte. Als ich das verneinte, sagte mir die Vermittlung, ich müsste besser aufpassen, sie hätte zurückgeläutet und nun sei das Gespräch wieder weg. Dabei hatte es bei mir nicht geläutet. Ich vermutete nun, daß Du wegen Ulla angerufen haben könntest und war sehr aufgeregt als Dein Gespräch dann glücklich doch noch mal kam.

Hier haben wir so viel Arbeit, daß wir von Hetze und Aufregung zu nichts kommen. Abend(s) bin ich nicht mal fähig etwas zu lesen oder zu schreiben. Es fallen mir einfach die Augen zu. Schlafen und wieder schlafen. Nur so kann man sich etwas bei Kräften halten. Das mußt Du auch tun trotz aller Alarme. Es muß dann einfach zu einer anderen Zeit geschlafen werden und Arbeiten, die zu normalen Zeiten als wichtig gegolten haben, müssen einfach zurückstehen. Nur so kann man einem Kräfteverfall entgegenwirken. Sonst geht es wie 1918. Ein Grippeepidemie genügte um 1000de von Menschen wegzuraffen. Die Zahl der bewohnten Räume beschränken und die Arbeit mit Gewalt reduzieren. Alle verfügbare Zeit verschlafen.. Ich weiß, daß das auf den lebhafte Widerstand von Lisbeth stoßen wird, aber es muß durchgeführt werden, sonst tuen wir den Kindern einen Gefallen, indem unsere Nerven draufgehen.

Ich sehe übrigens eben, daß in dem Bericht unseres Kriegsberichterstatters K.K. Krebs (?) vom gestrigen Tage    auch ich erwähnt bin. Wenn Du den Bericht bekommst - er erscheint meist in vielen Zeitungen – dann denke auch an mich. Der Unteroffizier E., der die Abschüsse meldet, ist Dein Gatte Harald.

Gestern Abend schien zum ersten Mal seit Wochen die Sonne. Ich war so lufthungrig, daß ich aller Müdigkeit zum Trotz mit Wilhelm in den Frühlingswald spazieren gegangen bin. Es war herrlich und erfrischend. Hier ist neben vielen schönem Buchenwald auch richtiger Heidewald mit viel Birken, die jetzt in ihrem schönsten Brautschleier stehen. Ich habe außerdem nie eine solche Wildfülle gesehen wie hier. Schon auf unserem (Hecken...?) aus Jever sah ich Rehe rudelweise auf den Wiesen         stehen. Gestern Abend lebte der ganze Wald von Reh-und Hirschwild. Dazu stand der Vollmond am Himmel. Es war wundervoll und sehr erholsam, weil es so ganz andere Eindrücke ermittelt. Man wird bei dieser Hetze ganz stumpf und wenn nicht andere Eindrücke uns aufrütteln, dann verblödet man.

Ist es wa(h)r, daß Mutter schon vor einem Monat die Augen schloss? Ich habe vollkommen das Gefühl für Zeit verloren. Ich kann nicht mehr sagen,ob es lang oder kurz ist.     Hoffentlich kommt bald mal eine Ausspannung. Wilhelm Lichtschlag geht es genau so. Er sagt, er hätte mich nie so nervös gesehen, aber er ist es nicht minder.

So nun freue ich mich, endlich in der Mittagspause doch einen Brief zustande gebracht zu haben und grüße Dich,die Kinder, die Omi und Lisbeth recht herzlich.

Dir 1000 liebe liebe Küsse  
Dein Harald