Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 5. Januar 1945 (?)

Mein liebes süßes Lottenfrauchen,

Ich habe Dir viele   Tage lang nicht geschrieben, weil ich 1. wie nie in meiner Militärzeit angespannt bin und 2., weil mir einfach die Ansprache fehlte von Dir. Es ist so endlos lange her, daß ich Deinen letzten Brief bekam. Nun halte ich endlich wieder einen von Dir in der Hand, und wenn er auch schon vom 6. 12.ist, so kommt er mir doch wie ein Geschenk des Himmels vor. Du meinst, Deine Briefe wären z.Zt. nicht lieb. Ich kann Dir nur sagen, dass ich brennend darauf wachte und gerade über diesen beinahe zu Tränen gerührt bin. Schreibe nur getrost so weiter, gibt mir meinen Anteil an Deinen Sorgen mit, denn darauf hast Du und ich einen Anspruch. Das Weihnachtsfest liegt nun schon eine ganze Weile hinter uns und ich glaube, dass wir beide uns später nicht allzu gern daran erinnern werde. Ich hoffe, dass wir kein schlimmeres zu erleben brauchen. Hoffentlich habt Ihr trotz aller Schwierigkeiten ein Bäumchen gehabt. Wie gerne hätte ich selbst die paar ärmlichen Sachen, die ich dieses Jahr mithilfe von Omi und unserer Marketenderei für Dich aufgetrieben hatte, selbst darunter gelegt. So liegt ein Buch und die Packung 4711 in Frielendorf, die beiden anderen Bücher hat Dir die Omi wohl gegeben. Ich selbst habe den Heiligen Abend einigermaßen gemütlich bei meinen reizenden Wirtsleuten gefeiert, die Dich übrigens aus meinen Erzählungen schon sehr gut kennen und mir viele Grüße an Dich aufgetragen haben. Sie waren auch in Gedanken bei ihren beiden Söhnen, die im Felde stehen, und bei ihrer werdenden Schwiegertochter, die als Flakhelferin bei Köln liegt, und der ich einige Tage vor dem Fest einen Brief für Dich mitgegeben habe. Hoffentlich hast Du den bekommen. Sie (die Wirtsleute) hatten zwar ein Bäumchen hatten aber keine Stimmung, es zu schmücken. Da habe ich mich denn, als sie gerade zu Besuch in der Nachbarschaft waren, dran gemacht und habe es recht nett herausgeputzt. Sie haben sich sehr darüber gefreut und Herr Edelmann las mir darauf eine Stelle aus einem Brief an seine Kinder vor, der sich mit mir beschäftigte und in dem etwa stand, dass sie das Gefühl hätten, mich schon lange zu kennen und dass ich Ihnen ein lieber Hausgenosse wäre. Darüber habe ich mich dann wieder gefreut. Edelmanns sind überhaupt Prachtmenschen. Überzeugte Nationalsozialisten auch in der Tat. Es ist erfrischend, so etwas zu erleben. Am 1. Weihnachtstag war ich (dann auch, gestr.) ihr Gast zum Abendessen. Ein schönes Kaninchen hat dran glauben müssen. Ich konnte dazu eine Flasche Wein stiften. Unser Dienst wird jetzt von 6,30 Uhr (anfänglich 6 Uhr) durchgehend bis um 19:00 Uhr. Häufig sogar noch viel länger. Gestern war es wieder 11 Uhr. Als ich nach Hause kam, hatte Frau Edelmann auf mich gewartet und hatte noch ein Abendessen bestehend aus 4 Reibekuchen für mich aufgehoben. So sind sie immer. Ich bin also bestens aufgehoben,

kann aber auch die zusätzliche Betreuung bei der starken Beanspruchung sehr gut gebrauchen. Am 2. Weihnachtstag hatte ich dann, es ist kaum zu glauben, einen Nachmittag frei. Den habe ich halb verschlafen und dann bin ich etwas spazieren gegangen und habe Erich Ehlen besucht, der mit einer Nierenreizung im Bett lag. Zu Sylvester habe ich meine Pulle Schnapps geopfert, weil ich mich für all die Fürsorge doch irgendwie erkenntlich zeigen musste. Es kam dann irgendwo her noch eine Pulle Rotwein, sodass wir ganz schön feiern konnten. Ganz schön schreibe ich und wie trostlos war es doch im Vergleich zu früheren Zeiten. Ich war die ganze letzte Zeit abgrundtief müde und schob es immer auf den langen und aufregenden Dienst. Jetzt, wo ich Deinen Brief bekommen habe, bin ich frisch wie ein Fisch im Wasser und merken nun erst, dass die Müdegkeit zum großen Teil von der trostlosen inneren Leere und der Unmöglichkeit herkam, mit Dir wenn auch nur eine briefliche Verbindung zu haben. Meine Briefe nach meinem Besuch in Frielendorf hast Du hoffentlich bekommen. Das war eine große Freude für mich und die Kinder ich bin sehr schweren Herzens wieder weggegangen. Nun liegt zwischen dem Brief von Dir und heute schon ein Monat. Weiß ich was er Euch gebracht hat? Weiß ich ob Ihr noch in Godesberg seit und ob die Angriffe auf Bonn nicht auch euch betroffen haben. Ich weiß garnichts und bin doch froh, weil ich mal wieder was gehört habe. Endlich mal wieder was! Eine große Trostlosigkeit ist von mir gewichen, obwohl Dein Brief doch nichts Erfreuliches berichten konnte. Sehr leid hat mir die Nachricht vom Tode von Helmut Rösel und Herward Schlesinger getan. Welches Unglück bringt doch jeder Tag dieses bestialischen Krieges über unser Volk. Wie leid tun mir Rösels und der arme Bob. Gleichzeitig kam ein Briefe von Fritz Rösel an, indem er mir ebenfalls den Tod von Helmut meldete. Ich hatte gehofft, dass unsere neue Offensive im Westen den Feind etwas von Euch weg drücken würde. Leider ist das nicht geschehen und wird wohl auch nicht mehr geschehen, denn sie ist wohl rettungslos festgefahren. Die enorme Luftwaffe unserer Gegner macht uns alles zu schwer. Am 1.1. 45 ist auch unser Kommodore (Specht) und mit ihm 2 weitere Ritterkreuzträger unseres Geschwaders von dem Einsatz gegen die belgischen und holländischen Flugplätze nicht zurückgekommen. Hier ist es mit der Fliegerei sehr lebendig, die Tieffliegerei hat allerdings seit der Offensive nachgelassen. Unser Stoß an der Saar wirkt sich auch nur Meter um Meter vorwärts. Was soll das werden, wenn der Gegner uns im kommenden Frühjahr Millionen von Kolonialvölkern entgegenwirft? Hat eigentlich Hans Banthien Dir etwas geantwortet und was hast Du nach Frielendorf geschrieben. Beide Lösungen sind alles andere als ideal, aber m.E. immer noch besser als die Evakuierung auf irgend eine Dachkammer. Oldenburg wäre ernährungsmäßig sicher nicht schlecht. Ob es sicherer ist als Godesberg, ist zweifelhaft jedenfalls nicht die Küste. Aber wer weiß das! Bei Banthiens hättest Du am

meisten Platz und das ist für das Wohlbefinden auch sehr wichtig.

Vielleicht hast Du die Hoffnung, in Godesberg bleiben zu können. Ich glaube nicht recht daran auch wenn augenblicklich eine kleine Erleichterung eingetreten sein sollte. Mir blutet das Herz, wenn ich daran denke, daß wir unser schönes Heim aufgeben müssen. Könnt Ihr denn nichts nach Zissendorf schaffen. Der Weg über Gießen wird ja auch mal wieder frei, außerdem fährt von Herborn bei Dillenburg eine Kleinbahn nach Niederwalgern bei Marburg. Du könntest also schon mal nach Frielendorf fahren. Die Koffer dürften natürlich nicht zu schwer sein. Es gibt keine Kohlen. Die Schule, in der unsere Büros untergebracht sind, ist unbeheizt. Wir versuchen mit einem kleinen Kanonenöfchen gegen die Kälte, die Gott sei Dank etwas nachgelassen hat an, anzustinken. Es ist natürlich ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. So wird es mit allem immer schlechter. Nur unsere Verpflegung ist unberufen nach wie vor gut. Es ist erstaunlich. So sind wir im Großen und Ganzen immer noch besser dran als ihr. Merkt Ihr denn nun eine arbeitsmäßige Entlastung durch das Fehlen der beiden Kinder. Ich meine, wir müssten unsere beiden kleinen E(unleserlich) besonders lieb haben, denn sie müssen der Elternliebe en(tbehren?) . Ich glaube, dass Helga es besonders empfindet, denn sie freute sichüber mein Kommen beinahe hysterisch. Ursel dagegen machte mir einen absolut zufriedenen Eindruck. Ich glaube nicht, dass sie unter Heimweh leidet. Wie mögen die Beiden Weihnachten überstanden haben? Die drei Godesberger Trabanten haben Dich und Deine ständige mütterliche Fürsorge, die, dessen bin ich sicher, auch durch alle Belastungen des Krieges nicht nachgelassen hat. Hier in der Gegend gibt es kaum einen Ort und wäre er noch so klein, der nicht schon ordentlich etwas abbekommen hätte. Von Pfungstadt fehlt auch schon ein ganzes Viertel und das schon ein ganzes Jahr. Trotzdem sind die Leute hier rührend gläubig und rechnen bestimmt mit einem Sieg. Abends versammeln sich bei Edelmann zu häufig zahlreiche Nachbarn und Bekannte. Wir haben mehrfach schon in Doppelreihe gesessen das ist hier allgemein Usus. Je mehr Menschen da sind und so gemütlicher finden Sie es. Der Dialekt ist ähnlich wie das Frankfurtsche. Es war der öfters von einer Familie Aschmann die Rede und ich amüsierte mich bereits über diesen unapetitlichen Namen, als ich plötzlich begriff, dass besagte Familie Eichmann heißt also einen ganz ordentlichen Namen besaß. Es ist übrigens neuerdings die Urlaubssperre gelockert worden. Es können 3 % der Einheit auf Urlaub fahren. Ich hoffe nun, dass ich eines Tages bei den 3 Männeken auch dabei sein werde. Ich werde dann versuchen, mich möglichst schnell zu Dir durch zu wirken. Wüsste ich bloß wohin?

Schreibe mir möglichst direkt an meine Privatanschrift unter Einschreiten. Einschreibebriefe sollen, das ist die Erfahrung vieler Kameraden viel schneller laufen.

Hier meutert schon das ganze Geschäftszimmer, weil ich einen so langen Privatbrief schreibe. Aber ich habe so lange kein Privatbrief geschrieben, dass ich mir kein Gewissen daraus mache. Trotzdem muss ich jetzt aufhören, denn der Adjutant, ein kleinlicher Dorfschullehrer, hat schon Lunte gerochen.

Ich grüße Dich und die Kinder sowie die Omi und Lisbeth recht herzlich. Ich werde nun auch bald die Geburtstagsbriefe für den 18. schreiben müssen.

1000 liebe Grüße und Küsse
Dein Harald

[Handschriftlich von Lotti:] Kannst Du, wenn Kommen möglich, die Kinder mitbringen?Hier geht es gut. Lotti.