Harald Endemann an seine Frau Charlotte, 23. Januar 1945

23.1.45

Mein liebes Galotti,

Unsere Tage in P sind zu Ende. Die Gefahr ruft uns an einen anderen Platz auf der anderen Seite des Reiches. Wir gehen schweren Herzens, denn auch hier brauchte man uns dringend. Ich sitze hier am letzten Abend zwischen gepackten Kisten und hoffe noch Zeit zu finden, diesen Brief in Ruhe und Sammlung zu schreiben, während unsere Vermittlung mal wieder versucht, ein Gespräch nach Godesberg durchzubringen. Noch mehr als die allgemeine Lage quält mich die Tatsache, dass ich völlig ohne Nachricht von Dir und Frielendorf bin. Was kann in den 1 ½ Monaten, , die Deine letzte Nachricht alt ist, alle(s) passiert sein. Vielleicht bist Du genau wie ich ohne Post und ängstigt Dich. Mir ist es außer der sehr vielen Arbeit gut ergangen. Meine reizenden Quartier Leute tun alles Erdenkliche, um mir den Aufenthalt so schön wie irgend möglich zu machen. Sie geben mir Abendessen und Frühstück, heizen abends mein Bett mit einem Wärmstein an, waschen meine Wäsche usw. Dazu hat eine dicke Schneedecke die Trostlosigkeit der kleinen Stadt, die mich wie eine Proletariersiedlung anmutet mitleidig zugedeckt. Die Straßen sind voll schlittenfahrender Kinder und man bekommt manchen Schneeball aufgebrannt. Das alles ist so friedlich und dann beginnen plötzlich die Sirenen ihr ekelhaftes Gejohle, aber hier kümmert sich niemand darum. Erst wenn das Gebrumm in den Lüften hörbar wird, leeren sich die Straßen. Wir werden bei drohender Gefahr in den Wald geschickt. Die schneebedeckten Berge des Odenwaldes – der Frankenstein und der Millibogkuss – Grüßen herüber und wir machen dann meist, statt uns in die Löcher zu hocken, wo man scheußlich friert, einen kleinen Spaziergang durch den Winterwald. Es wäre alles ganz schön und gut wenn die schreckliche Sorge um Euch und unser Vaterland nicht wäre. Was soll nun werden! Jedes Ausdenken bringt ein Schaudern. Die viele Arbeit lässt kaum ein Denken aufkommen. Das ist auch damit gewonnen. Ein Ausweg ist doch nicht zu finden. Da sitze ich nun – in normalen Zeiten kaum 4 D- Zugstunden von Euch entfernt – und kann Euch nicht erreichen, weiß nicht wie es Euch geht, ja weiß nicht einmal wo ihr seid. Eben sagt mir die Vermittlung, dass sie von Hangelar aus Bonn

nicht erreichen kann, da es sich nicht meldet. Hoffentlich habt Ihr überhaupt noch Anschluss, sonst ist natürlich alle Mühe umsonst. Schreibe mir doch bitte, wenn unser Anschluss weggefallen ist, die Nummer von Siefkens oder von Unverzagt. Mit dem Urlaub wird es nun doch nichts werden, ich werde aber versuchen auf meiner Reise in Friedendorf vorbeizukommen, um wenigstens nach den Kindern zu sehen. Vielleicht finde ich dort Nachricht von Euch. Möge der Allmächtige uns schützen!

Es grüßt und küsst euch in Liebe  
Harald

Feldpost 25.1.45,   Abs. Uffz. Endemann   L 25400 Wiesbaden)