Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 22. Juni 1943

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Köln, den 22.6.43.

Mein lieber Peps!

Es ist schon ½ 10 Uhr. Doch bevor ich in die Klappe krieche, will ich Dir noch ein paar Zeilen schreiben. Sonst habe ich Dienstag immer nach Dienstschluß meine Fahrkarte nach Wahn gelöst. Ja, das waren noch Zeiten. Wie gerne würde ich nochmal nach Wahn fahren und wenn es nur für ein Viertelstündchen wäre - ach was sage ich da - für eine einzige Minute käme ich. Ich hab’ ja solches Heimweh. Ich sorge immer, daß ich in meiner Freizeit viel Beschäftigung und Zerstreuung habe, wenn ich schon mal anfange zu denken, kriege ich das arme Tier. Es ist aber auch alles so traurig. Heute hatten wir am Tag ein paar mal Fliegeralarm, einmal sogar großen. Da kommen die Biester die Nacht bestimmt wieder, - aber mal soll den Teufel ja nicht an die Wand malen. -

Ich habe mal wieder eine ordentliche Erkältung weg. Ich bin so heiser, daß ich heut’ den ganzen Tag aber auch nicht einen Ton herausbekommen habe. Im Geschäft bin ich deswegen natürlich kollosal aufgezogen worden. Du wärest in diesem Falle doch sicher froh darüber gewesen!? Heißt es doch immer, daß die armen Männer von dem Mundwerk ihrer Frauen so sehr geplagt werden. Habe ich Dich auch schon oft mit meinem losen Mundwerk geplagt? Mutter sagt immer, ich hätte ne Schlabberschnüß’.

Nun, mein Liebster, wie geht es Dir? Was machst Du so den ganzen Tag über? Jetzt hast Du doch sicher mehr Freizeit als in Wahn? Bist Du auch schon schön braun? Mein Sonnenbrand ist ganz verschwunden, nur meine Schultern tun mir noch etwas weh. Wenn die Straßenbahnen nach Müngersdorf wieder durchfahren, werde ich auch in der Woche schwimmen gehen. So ist es noch zu umständlich. Erst heute wurden die Blindgänger auf der Aachenerstraße gesprengt. Ehe aber jetzt die Oberleitung wieder hergestellt ist, wird noch einige Zeit vergehen. Auch die F (nach Frechen) fährt noch immer nicht durch. Entweder ich fahre mit der F von der Ecke Dürenerstr-Universitätsstr. ab und muß bis dahin zu Fuß gehen oder ich fahre mit dem Omnibus ab Opernhaus bis Stadtwallgürtel und steige erst dort in die F ein. Nun hab’ ich Dir so viel von der „F“ geschrieben, als ob Dich das interessierte. - Sonst gibt’s nichts Neues. Gestern und heute waren mein Onkel und Tante aus Koblenz hier. Sie sind aber heute vor lauter Angst wieder abgehauen. Na, man kann’s verstehen. - Adele ist noch nicht zu Hause. Na, man kann auch das verstehen. Haben wir es doch genau so gemacht.

So, mein allerliebster Peps, laß mich für heute schließen.

Einen allerliebsten Kuß von

Deiner Annelie.