Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 30. Juni 1943

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Köln, 30.6.43.

Mein liebster Peps!

Schon wieder geht ein „schöner“ Tag zu Ende.

Wir sind alle so müde und so schmutzig.

Gestern abend war ich bei Deinen Eltern. Nachher sind wir nur bis zum Neumarkt und durch die Krebsgasse wieder um. Davon hatte so genug, so übergenug. Nein, es ist zu furchtbar.

Das wir Menschen so etwas nur überleben können. Adele ist ganz fertig. Sie war mit Fritz in sämtlichen Vierteln der Stadt, dabei hat sie so viele Leichen gesehen. Jetzt kann sie abends keinen Schritt mehr alleine tun vor Angst. Gegen die Innenstadt wohnen wir hier noch wie im Paradies. Deine Bilder kannst Du Dir in Ruinen suchen, futsch! Es tut mir furchtbar leid. Ich hätte so gerne ein paar schöne Bilder von Dir gehabt. Die Schönsten nehme ich auch immer mit in den Keller. Leider habe ich garkein schönes Soldatenbild von Dir. -

Ob Du das Telegram von Deinen Eltern erhalten hast und ob Du kommst? Dann könntest Du vielleicht schon übermorgen hier sein. Ich wäre ja so froh. Eigentlich wollte ich heute abend noch zu Deinen Eltern gegangen sein, ob das Telegram auch weggegangen ist, aber ich bin zu müde und die Füße tuen mir zu weh. Ich werde morgen abend mal hingehen.

Unser Herr Becker (Kassierer Sparkasse Frechen) lebt noch! Er hält sich momentan bei seiner Schwester auf. Herr Dehen (Zweigstelle[..?..]) hat ihn aufgesucht. Herr Becker war gerade durch den Durchbruch, als im Keller die Decke einstürzte.

Die Leute, die noch nicht durch waren, wurden getötet. Die anderen mußten alle zum Rhein laufen um sich einigermaßen vor Brand zu schützen. Er ist natürlich nicht arbeitsfähig. Es wird sich wohl manches Drama in jener Nacht abgespielt haben. Von Frl. Frickel haben wir auch noch nichts gehört, die beiden anderen sind mittlerweile eingetrudelt. Jetzt, wo es auf die Nacht angeht, kriegt man schon wieder mit der Angst zu tun. -

Wie geht es Dir noch mein lieber Peps?

Was macht der Dienst? Was macht die Liebe? Ich habe Sehnsucht nach Dir. Wenn Du hier wärest, wäre alles viel erträglicher. Ach, es ist so traurig. Wann nimmt dieses Morden mal ein Ende? Ich glaub’, noch lange nicht. Oft könnte ich so verzweifeln. Das muß doch mal ein Ende nehmen. Man wird ja verrückt dabei. Zustände sind das: kein Licht, kein Gas, kein Wasser! Nie weiß man, ob man den Morgen noch erlebt. Da lernt man wieder beten! richtig beten! Aus der tiefsten Seelennot heraus. Ich glaub’, ein Mensch kann auch nur dann so richtig inbrünstig beten, wenn es ihm schlecht geht: Lieber Gott hilf, hilf mir und dem Adi! Ob er es erhört? Warum denn nicht? Was haben denn wir getan?! Soll er doch die Schuldigen strafen. Nie hätte ich gedacht, daß wir

mal so etwas erleben müßten und so etwas Grausiges mitmachen müßten.

Doch Du wirst ja selbst alles sehen und erschüttert sein.

Zum Arbeiten hat man garkeine Lust mehr. - Siehst Du - ich weiß schon garnicht andres mehr zu schreiben, nur von dem grausigen Angriff. Dauernd will ich abbiegen, komme aber immer wieder darauf zurück. Drum will ich auch für heute aufhören.

Mein allerliebster Peps! Gute Nacht!

Kuß

Deine Annelie.