Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 6. Juli 1943

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Köln, 6.7.43

Mein liebster Peps!

Gestern Abend um 6 Uhr habe ich den ersten Brief nach dem Fliegerangriff vom 29. von Dir erhalten. Ich kann es mir gut vorstellen, wie ihr da draußen Euch um uns hier sorgt und wie lang Euch die Zeit wird bis ihr endlich die erste Nachricht von uns habt. Armer Liebling! Diesen Brief werde ich immer aufheben. Ich glaube, viel, viel später, wenn wir dann den Brief mal vornehmen, wird man immer noch die Angst verspüren können, die daraus spricht. Siehst Du, genau so werde ich mich ängstigen, wenn Du einmal an der Front bist, und der Wehrmachtsbericht meldet täglich von schweren stattfindenden Kämpfen. Ach ja, wir leben in einer entsetzlichen Zeit. Alle sind wir so kaputt. Kein Wunder, wenn man schon Nachts um 12 Uhr im Keller sitzt, dann kriegt man aber auch schon knapp mehr einen Sitzplatz. - Heute habe ich nun Deinen Brief vom 27. bekommen. Er ist am 29. in Essen abgestempelt.

Die Schokolade wird wohl kaum mehr ankommen. Das ist ja sehr tragisch! Kannst Du eigentlich genug Schokolade dort bekommen? Ich muß unbedingt sehen, das ich noch K-Scheine bekomme. Dann schickst Du mir doch bitte noch welche! Ich esse sie doch so gerne! An Butter mangelts bei

uns ja nicht so sehr und Kaffee gibts ja wieder auf Sonderzuteilung. Dann ist er auch zu teuer. Sollen die alten Herrschaften Muckefuck trinken. Ich selbst mach’ mir wenig aus Bohnenkaffee. Wäre auch zu schade, wenn er dann schließlich auf dem Transport verbrennen würde. Es ist ja so viel an Post verbrannt. Auch Deine Bilder sind gut geworden, sehr gut sogar!!!!! Ich mußte richtig lachen, als ich in Deinem Brief las, ob die Bilder gut geworden wären. Cigarettenspitzen gibt’s leider auch keine mehr, d. h. es gibt keine Schildergasse mehr! Freimarken werde ich Dir morgen mitschicken, ich hab’ nämlich jetzt keine hier.

Die Anschrift von Dir konnte ich erst heute Christians Schwester mitgeben. Von Ahrens war so lange keiner mehr auf der Kasse. Als ob ich gerochen hätte, daß Du mich gerade heute daran erinnern würdest.

Gestern abend war ich bei Deinen Eltern. Ich hab’ ihnen aus Weiden Johannisbeeren zum Einmachen mitgebracht. Hoffentlich hat die ganze Einmacherei überhaupt noch Sinn. Dein Vater war sehr unglücklich weil er noch keine Post hatte. Heute haben sie aber sicher auch wieder welche. Von den Zigarren, die Du Deinem Vater geschickt hattest, hat er mir welche für meinen Vater mitgegeben. Der war ganz entzückt, so gut haben sie ihm geschmeckt. Ich soll’ Dir extra in seinem Namen dafür danken, er meint nämlich, Du hättest sie persönlich für ihn geschickt. Ich hab’ nun gerade noch einen 20.- Kreditschein. Vielleicht kannst Du ihm noch ein paar Cigärrchen schicken und mir bitte

ein bißchen Schokolädchen. Natürlich nur, wenn Du daran kommst, nicht, daß Du Dir oder Deinem Vater etwas abziehen mußt. Gell, mein Liebling.

Ich warte noch jeden Tag mit Deinem Kommen. Aber wahrscheinlich wird doch nichts daraus. Das wäre ja so schade. Wiederum meine ich, man müßte Euch nochmal nach Hause schicken. Ihr könnt Euch ja garnicht vorstellen, wie es hier aussieht, nein bestimmt, das kannst Du einfach nicht. Ein neuer Witz: Weißt Du was feige ist? Feige ist, wenn sich einer aus Köln freiwillig zur Ostfront meldet. - Alles, was nur weg kann, zieht aus Köln heraus. Das ist ein Wandern und Ziehen, unvorstellbar. Leider dürfen nur die meisten nicht heraus, sonst wäre auch kein Mensch mehr hier, ich bestimmt nicht.

Aber man wird ja von der Polizei zurückgeholt. Also zwecklos! Unser Frl. Welter ist am Sonntag einfach abgehauen, trotz Verbot des Direktors. Bis heute haben wir angenommen, sie sei krank. Ihre Herrlichkeit wird in Tirol aber nicht lange dauern. Herr Dehen sagt, er hätte schon alles in die Wege geleitet. Ich hab’ ihm aber auch gesagt, wenn sie nicht in ein paar Tagen wieder hier wäre, wäre das Frl. Hastenpflug aber auch verschwunden, worauf er sich verlassen könnte und das tue ich auch.

Wenn die sich mit ihrer Freschheit durchsetzen würde und wir sollen dafür den Kopf ins Loch stecken. Kommt gar nicht in Frage! Uns wächst sowieso die Arbeit über den Kopf zusammen.

Herr Becker, totalgeschädigt, arbeitet nicht,

Frl. Frickel, totalgeschädigt, zur Zeit in Neuwied, arbeitet noch lange nicht, Herr Funk krank, Frl. Welter weg und der Betrieb in Frechen geht weiter. Du kannst Dir denken. Herr Dehen spielt Kassierer und Zweigstellenleiter und ich laufe mir die Beine an der Annahme ab. Sowas nennt man Arbeitserleichterung.

Es ist jetzt 8 ¼ Uhr. Ich werde auch sofort in die Klappe kriechen, bin soo müde.

Liebster Peps, ich hab’ Dich so lieb!

Viele liebe Küsse

Deine Annelie.

(Entschuldige bitte die Schrift)