Andreas van Kann an Annliese Hastenplug, 12. September 1943

12/9.43.

Meine liebe Annelie,

erst heute komme ich dazu, Dir wieder zu schreiben. In den letzten Tagen ging es ziemlich rund und die wenigen Minuten, die übrig blieben wurden natürlich redlich verschlafen. Jetzt sind fast wieder „geregelte“ Verhältnisse eingetreten - auch schätze ich, daß die Post heute Abend wieder weg geht.

Im Zauber der letzten Tage ist es mir auch garnicht so recht zum Bewußtsein gekommen, daß heute schon der 12. ist, und ich immer noch keine Post habe. Jetzt ist es schon einen Monat her, seit dem ich das Letzte mal bei Dir war. Und so lange habe ich nun nichts mehr von Dir gehört. - Du, daß ist wohl noch nie vorgekommen.

Und dabei werde ich wohl immerhin noch eine ganze Woche warten müssen, naja, die geht auch vorüber. Und dann bekomme ich gewiß einen Roman mit vielen Seiten. Ich freue mich schon sehr darauf. -

Ich bin nun seit einigen Tagen als Gruppenführer eingesetzt. Für 7 Leute habe ich jetzt zu sorgen - dafür bin ich verantwortlich. Hier an der Front ist das natürlich eine ganz andere Angelegenheit, als in der Garnison. Hier entscheidet nicht das zackige, sondern das supstantiv[!] richtige - das heißt: das Gefühlsmäßig - nehmende. -

Allmählich habe ich einen klareren Blick für das Frontgeschehen bekommen. Meine letzten Briefe habe ich absichtlich ganz farblos gehalten, weil ich die ersten Eindrücke nicht als die richtigen gelten lassen wollte. Jetzt aber kann ich schon so einiges beurteilen.

Grundlegend muß ich sagen, daß Rußland ein einziges Dreckloch ist mit Läusen, Wanzen und sonstigen zooligierten Scherzartikeln. Das Land ist langweilig, nichtssagend - tragisch-schwermütig - ein Formbild der russischen Seele. Die Menschen sind (so weit ich Einheimische kennen gelernt habe) primitiv, schrecklich nachlässig und faul. Jedoch sind die Alten unter ihnen sehr fromm. -

Vom Kampfgeschehen nun - meine liebe Annelie - möchte ich nichts schreiben. Wir stehen einem zähen, verbissenen Feind gegenüber, der überdies meist total besoffen ist. Wenn ich mal wieder hier heraus bin aus dem Dreck, werde ich Dir auch darüber etwas erzählen - Du wirst Dich aber dann damit abfinden müssen, ein paar schlaflose Nächte zu haben. (So wie ich Dich kenne!) Wir Soldaten wissen von all dem nichts. Für uns sind 3 Dinge von

außerordentlicher Wichtigkeit:

1.) Verpflegung (einschl. Rauchwaren)
2.) Post
3.) Schlaf.

Das sind die elementarsten soldatischen Sorgen. Dann interessiert uns noch sehr der Urlaub. Dieses Thema habe ich jedoch gänzlich ad acta gelegt, denn wie sollte ich Urlaub bekommen, wo ich ja doch Anfang November hier abdampfe. -

So ist nun das Leben zu einem „Hinvegetieren“ geworden - ohne Licht und echter Freude, in ständiger Sorge. Wenn wir mal aus diesem Krieg zurückkommen, sind doch irgendwie andere Menschen aus uns geworden; doch halt, darüber wollen wir nicht reden - naja!

Alle meine Gedanken, die sich auf die Heimat beziehen gehen nur immer

zu Dir. Immer schwebt mir das Bild unserer schönen Urlaubstage vor. Du - so schön muß es aber wieder werden, gell. Noch etwas schöner. Hoffentlich hast Du jetzt eine schöne Wohnung; ja, die wirst Du bestimmt haben, denn daß ist ja schon ein Monat her. Mein Gott - vergeht die Zeit!

Und ich liebe Dich, Annelie! Es ist ja alles so leicht zu ertragen, wenn man weiß, daß man einen geliebten Menschen hat, und daß hinter allem das schönste von allem: das Wiedersehen steht.

Geliebte in der Ferne   des Nachts die gleichen Sterne

sie sehen Dich und mich.

Und in den Tageszeiten   strahlt über alle Weiten   für mich und Dich   das gleiche Sonnenlicht!

Das kann uns schon ein kleiner Trost sein: trotz der riesigen Entfernung, die uns trennt, sind unsere Herzen beieinander - weil wir uns lieben! -

Liebe, gute Braut,

ich grüße und küsse Dich!

Dein Adi.