Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 16. April 1944

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Sonntag, den 16.4.44.

Mein lieber Adi!

Heute sollst Du wieder einen längeren Brief von mir bekommen. Gestern habe ich auch von Deinen Eltern die Seife bekommen, die Du für mich geschickt hattest. Ich habe mich sehr darüber gefreut und danke Dir dafür! Küßchen! So - ach könnte ich Dir doch nochmal einen richtigen Kuß geben. Ich kann mir schon fast nichts mehr darunter vorstellen. Heute fühle ich mich besonders einsam. Es ist Sonntag, fünf Uhr. Ich sitze hier bei Deinen Eltern ganz alleine. Adele und Frau Schramma sind nach Düsseldorf, nein, nach Duisburg, gefahren. Wir wollten heute nachmittag eigentlich ins Kino gehen. Aber in Anbetracht dessen, daß die Menschenschlange heute morgen beim Kartenverkauf bis um die Ecke in der Ehrenstraße stand, habe ich lieber darauf verzichtet. So sitze ich denn hier und muß an Dich denken, liebster Adi! Wie schön wäre es, wenn Du jetzt hier sein könntest, wir gingen zusammen spazieren. Wäre das schön! Wenn ich abends die Pärchen Arm in Arm spazieren gehen sehe, dann wird’s mir gelb vor Augen aus Neid. Ich glaube, daß tut der Frühling. - Wie geht es Dir noch? Gestern erhielt ich Deine Briefe vom 3. u. 4. Darin schriebst Du, daß es bei Euch immer noch so kalt und stürmisch sei. Das kann

man sich hier überhaupt nicht vorstellen. Wann kommt denn in Rußland der Frühling? Ich kann mich einfach garnicht in Eure Verhältnisse hineinversetzen. Ist es in Eurem Abschnitt noch immer ruhig? Ich glaube bestimmt, daß die Russen jetzt auch wieder im Mittelabschnitt angreifen. Ich habe solche Angst. Täglich lausche ich auf den Wehrmachtsbericht. Heute Mittag wurde schon erwähnt, daß die Russen im Mittelabschnitt angegriffen haben. Wenn sie doch nur noch wegblieben bis Du glücklich da heraus bist. Siehst Du, so muß ich ewig grübeln. Wie glücklich bin ich, wenn Du erst mal wieder aus diesem verdammten Rußland heraus bist.

Christian Ohrem ist am Donnerstag auch wieder weg, allerdings nach Frankreich zum Lehrgang. Von Deinem Kamerad Reichling haben wir immer noch nichts gehört. Ich glaube, Deinen Füller bist Du quitt. Schade, wo man jetzt garkeinen neuen mehr bekommt. -

Deine Mutter kamt in Deines Vaters alten Hemden. Gerade bringt sie zwei, davon soll ich mir Blusen machen lassen. Von Deinem alten hellen Mantel machen wir einen für mich. Paß gut auf, sonst hab’ ich aufeinmal auch noch Deinen grauen Anzug dazwischen!!! Nein, so will ich denn doch nicht sein. Du mußt ja auch fein sein, wenn Du hier bist. Frau Schramma brachte mir gestern ein neues Kleid mit, ein Sommerkleidchen. Heute habe ich mir den Saum umgeschlagen. O, ich habe immer Arbeit. Ich will doch auch nett aussehen, wenn Du kommst. Das tue ich doch alles nur für Dich, mein Liebling. - Du hast für meinen Vater Tabak und Zigarren abgeschickt? Da wird er sich aber freuen.

Wenn er etwas zu rauchen hat, dann ist er ja glücklich und zufrieden. Im übrigen, er hat uns Beide, Adele und mich wirklich ganz gut dahingekriegt. Ich meine, was das „geistige“ anbetrifft. Vielleicht ist es aber auch nur Glück bei uns. Jedenfalls, die Schrift hab’ ich nicht von ihm geerbt. Ja, mein Liebling, jetzt haben wir bald Hochzeit. Wir wissen nur noch nicht, „wo gefeiert wird“.

Meine Eltern wollen nicht so recht davon wissen. Sie schämen sich des jungen Ehepaares. Ich glaube, meinem Vater tut es schon leid, daß er die Zustimmung gegeben hat. Dann will Adele in weiß heiraten. Stell’ Dir mal vor in unserer Küche bei Steingutteller und Blechbesteck. Ist das nicht paradox. Ich bin jetzt wirklich mal gespannt auf die Dinge, die da kommen werden. Am Besten wär’s ja, sie hätten (Frau Schramma) eine eigene Wohnung. Na, vielleicht klappt’s noch bis dahin. -

Im Geschäft gefällt es mir noch immer sehr gut. Ich bin immer noch an der Annahme. Augenblicklich ganz alleine, weil meine Kollegin krank ist. Da kannst Du Dir denken, daß ich oft nicht zum Atmen komme. Ein Beispiel: gestern morgen um 8 Uhr händigte mir Herr Funk Deine beiden Briefe aus. Und wann kam ich dazu sie zu lesen? Gestern Mittag um 2 Uhr in der Straßenbahn. Aber der Betrieb ist mir ganz lieb so. Die Zeit verfliegt nämlich nur so, und desto näher rückt unser Wiedersehen.

Mein Lieber, empfange die liebsten Sonntagsgrüße und einen lieben langen Kuß von

Deiner Annelie.