Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 1. Mai 1944

Köln, den 1.5.44

Mein lieber Adi!

Soeben bin ich von Koblenz gekommen. Ich bin extra früh gefahren, um Deine Eltern noch aufzusuchen, habe aber nur Frau Schramma angetroffen. Nun will ich die Zeit ausnutzen, Dir einen Brief zu schreiben. An zwei Tagen bin ich in Koblenz nicht dazu gekommen. Mein Onkel ist noch aus Rußland in Urlaub gekommen und da hatten wir das Haus voll, auch war ich viel mit Annemie zusammen. Du bist mir doch nicht böse deswegen. Ich werde Dir jetzt wieder um so häufiger schreiben.

Gott sei Dank war bei uns zu Hause nichts passiert. (Ich bin ganz durcheinander!) Überhaupt ist das, was in Koblenz passiert ist, kaum nennenswert. Sicher, dafür, daß es der erste Angriff auf Koblenz war, hat es gereicht. Die Koblenzer haben natürlich einen gewaltigen Schreck abgekriegt und natürlich auch „wahnsinnig viel mitgemacht!“ Du solltest sie jetzt mal in den Keller flitzen sehen!

Nun ja, es hat ja auch wirklich genügt und ich wünschte selbst, es wäre der letzte Angriff auf Koblenz gewesen. Die Stadt hatte etwa 100 - 150 Verluste, auch die Mutter meines Kommunionpaares ist mit zehn anderen im Keller umgekommen. Das Mädel selbst war im Nachbarkeller und

konnte gerettet werden. - Sonst war es in Koblenz ganz nett, besonders bei Familie Kratz. Sie sind ja immer ganz goldig zu uns. Trotzdem, Liebster, hab’ ich dauernd an Dich denken müssen. Warum können wir den schönen Frühling nicht zusammen verleben? Ach, es ist so traurig. Ich habe Dich doch so lieb! Im Zug mußte ich mir dauernd vorstellen, wie schön es sein könnte! Ach, und wenn ich dann daran denke, wie lange es noch bis zu Deinem Urlaub dauert, könnte es mir übel werden. Ob es noch länger als zwei Monate dauert? O Gott o gott! Denkst Du auch noch viel an mich? Habt ihr viel mit Kämpfen zu tun? Hoffentlich nicht! Mein Onkel erzählte gestern, in Rußland sei jetzt die Schlammperiode, da könnte auf keiner Seite heftig gekämpft werden. Wenn’s nur so wäre. Mein Goldschatz, ich hab’ soviel Sehnsucht! -

Gleich fährt Frau Schramma mit mir schlafen. Adele ist nämlich in Koblenz geblieben. Sie hat noch zwei Tage Urlaub. Hoffentlich bekommen wir heute Nach nichts zum ersten Mai! Weißt Du noch: der 1. Mai vor fünf Jahren? Ist das tatsächlich schon so lange her? Ich kann es garnicht fassen. Wie schön war es doch damals. Ach, ich habe so richtig das arme Tier! Hoffentlich kommt morgen Post von Dir.

Liebe, liebe Grüße und Küsse

Deine Annelie.