Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 15. Juli 1944

Thorn 1

Samstag, 15.7.44

Mein liebster allerliebster Adi!

Heute bekam ich die erste Post von Dir, einen Brief aus Thorn in die Lindenstraße, und heute abend fand ich im Frankenforst Deinen Brief aus Mülheim, die Karte aus Berlin und noch einen Brief aus Thorn vor. Ich bin so glücklich. Seit gestern, Freitag, weiß ich erst wo Du steckst, da bekamen wir das erste Lebenszeichen von Dir, und zwar Deine Karte aus Berlin an Deine Eltern!

Liebster, wenn Du wüßtest, welche Sorgen und Seelennöte ich bis dahin hatte. Eine ganze Woche ohne Post von Dir! Ich war innerlich felsenfest davon überzeugt, daß man Dich an die Westfront oder in den Osten gesteckt hat. Erst das Telegram und dann so lange kein Lebenszeichen von Dir. - Und dann hatte ich in der Nacht von Donnerstag auf Freitag einen fürchterlichen Traum: Christian Ohrem war bei uns

an der Kasse. Ihn fragte ich, ob es möglich sei, daß Du ausgerückt seiest, ich hätte nämlich noch bis heute keine Nachricht von Dir. „Ja“ sagte er „ich weiß bestimmt, daß schon einige Lehrgänge aufgelöst worden sind.“ - Dann war ich plötzlich in Koblenz. Deine Mutter, unsere Nachbarin Frau Manz und ich standen beisammen und unterhielten uns über die allgemeine Lage. Da kam eine andere Frau mit einem Telegram und sagte: Ihr habt euren Jungen verloren und Sie Frau Manz Ihren Mann! Liebling, daß was ich da im Traum mitgemacht habe, schlimmer könnte es in Wirklichkeit nicht sein. Ich habe deutlich gespürt, wie mir das Blut im Gesicht gefroren ist, dann habe ich einen Schrei ausgestoßen - und dann war ich wach - mit jagenden Pulsen und wahnsinnigen Kopfschmerzen und das Herz war so weh! Bis fünf Uhr habe ich laut geweint. Der Traum hatte mich fürch-

terlich mitgenommen und ich lag hier so alleine und hatte keinen Menschen, der mir ein bißchen helfen konnte. Der Alpdruck fiel erst, als Deine liebe Karte aus Berlin ankam. - Liebster, was Du mir bedeutest, kann ich in Worten garnicht ausdrücken, aber im Traum hatte ich es empfunden, wie noch nie in meinem Leben.

Ich habe Dich ja so lieb! Und daß Du so weit weg von mir bist, damit kann ich mich gut, sehr gut abfinden; ich brauche nur an unsere Fronten zu denken!

Hoffentlich dauert der Lehrgang recht, recht lange. Ich brauche doch so wenigstens keine Sorgen um Dein Leben zu haben. Alles andere kommt schon wieder.

Morgen, Sonntag werde ich Deine Briefe beantworten. Jetzt ist es schon spät und ich schreibe im Bett.

Herzliebster einen heißen langen Kuß

Deine Annelie.