Andreas van Kann an Anneliese Hastenplug, 3. September 1944

3.9.44.

Meine liebe Annelie,

heute bekam ich Deinen lieben Brief, den Du am 30.9. geschrieben hast. Ja, ich habe es ja gewußt, daß Du auch jetzt wenig Zeit hast. Es ist ja schauderhaft, man hat überhaupt nichts mehr vom Leben. Wenn ich an Dich denke, wie Du den ganzen Tag auf den Beinen bist, dazu die scheußliche Straßenbahnfahrt - na, das ist alles andere wie schön. Da will ich mich auch garnicht beklagen, wenn ich viel Arbeit habe, warum soll es mir besser gehen als Dir.

Außerdem bin ich davon überzeugt, daß bald alles anders sein wird. Irgendwie muß es ja mal ein Ende geben,

so wie jetzt kann und wird es nicht mehr lange weitergehen. Die Entscheidung kommt heran - darüber sind wir uns längst alle klar.

Wie sich alles entwickelt kann man noch nicht absehen. Liebste, ich muß es Dir mal schreiben! Ich will Dich damit nicht mutlos machen, nur meine ich, daß man den Dingen klar gegenüber stehen soll. So nimm auch bitte diese Zeilen auf!

Liebe Annelie - wir müssen uns klar darüber sein, daß wir uns eventuell eine lange Zeit nicht mehr sehen werden; um nicht noch schwarzer zu sehen. Der Feind steht jetzt auch im Westen nahe

an der Grenze und bis zum Rhein ist es nicht mehr weit. Wenn es so in dem Tempo weitergeht wie in den letzten Tagen, kann man sich leicht ausrechnen, wann er in unserer Heimat sein wird. Das wißt Ihr grad’ so gut, wie wir, damit setzte ich gewiß keine zersetzende Parole in die Welt.

Siehst Du, Liebste, so kann jetzt sehr leicht eine Zeit kommen, in der jeder von uns ganz alleine darsteht, ohne äußerliche Verbindung, ohne Post, ohne jeden Austausch der Gedanken und Ausdrücke der Gefühle. Darüber wollen wir uns klar werden. Dann besteht eben nur noch das Band unserer Liebe. Das wird dann wieder eine Bewährung der Herzen werden. - Schau,

liebe Frau, ich habe mich in den letzten Tagen mit diesen Dingen abgefunden, abfinden müssen. Deswegen heute dieser Brief. Er kann vielleicht schon der Abschied sein.

Möge uns ein gütiges Geschick hold sein, daß dies nicht geschehen möge. Für den Fall aber, das es geschieht, möchte ich Dir dies noch mit auf den Weg geben:

Annelie, ich habe Dich sehr lieb. Du weißt, daß ich mein Leben Dir verschrieben habe, auf Gedeih und Verderb. Ich halte Dir immer die Treue - immer, bis zum letzten Atemzug - auch, wenn ich nichts mehr von Dir erfahre und nichts mehr von Dir weiß. Das kannst Du gewiß sein. Grad’ so glaube ich

an Dich. Ja, liebe Frau, ich glaube an Dich! Ich glaube fest und stark, daß auch Du mir treu sein wirst - auch wenn Du nichts von mir weißt und garnicht weißt, ob ich überhaupt noch bin.

Nun möchte ich Dich um eines bitten, das heißt - ich glaube, daß dies für Dich eine Selbstverständlichkeit ist. Aber Du kennst mich ja und weißt, das ich auch dann noch bitte, wenn es längst von Dir erfüllt ist. Sei mir bitte deswegen nicht böse! -

Annelie, wenn auch eine lange, sehr lange Zeit vergehen sollte, ohne daß Du etwas von mir erfährst, und Du garnicht mehr weißt, ob ich überhaupt noch bin, so denke immer, daß ich noch lebe und

auf Dich warte. Erst wenn Du ganz gewiß und amtlich erfährst, daß mir etwas zugestoßen ist, sodaß es mit mir vorbei ist, dann erst gebe es auf.

Auch wenn viele Jahre darüber vergehen werden, denke immer an mich, denke immer daran, daß ich einen ungeheuer starken Willen zum Leben habe, zu einem Leben mit Dir. Und wenn irgendwie eine Möglichkeit besteht für mich, dann werde ich sie ergreifen, das ist ganz gewiß.

So, meine liebe Frau, jetzt weißt Du, was mir seit Tagen auf der Seele brennt, vielleicht lachst Du über Deinen dummen Jungen, der solche Selbstverständlichkeiten

überhaupt zu erwähnen wagt; vielleicht auch bist Du gekränkt, aber, bitte, Liebste, sei das nicht. Faß’ es so auf, wie es gemeint ist: in übergroßer, sorgender Liebe zu Dir.

Was habe ich jetzt geschrieben, hoffentlich verstehst Du das alles recht! Du bist ja meine liebe, gute Frau!

Nun soll das aber nichts an unserem Vorhaben zu Heiraten ändern. Was ich Dir eben schrieb ist ja lediglich der „Wenn-Fall“. Vielleicht ändert sich doch alles noch zum Guten, wir wollen es hoffen. Bitte schicke mir schnell Deine Papiere, daß ich das hier schon alles vorbereiten kann. Aber das ist ja schon in die Wege geleitet, Du wirst jetzt

sicherlich schon alles haben.

Mit der Eignungserkundigung meinte ich, ob Du schon etwas gemerkt hast, daß der Komiß sich nach Dir bei irgendwelchen Leuten erkundigt hat. Das soll doch der Komiß bei Uffz. und Fahnenjunkern machen. Nun, vielleicht wirst Du garnichts davon erfahren.

Nun, liebe Annelie, laß mich schließen;

Gute Nacht!

Und viele liebe, liebe Grüße

Dein Adi.

Geliebte in der Ferne,
des Nachts die gleichen Sterne
die sehen Dich und mich!
Und in den Tageszeiten
strahlt über alle Weiten
für Dich und mich
das Gleiche Sonnenlicht.