Andreas van Kann an Anneliese Hastenplug, 16. September 1944

Th. 16.9.44.

Meine liebe Annelie!

Heute bin ich „Fahnenjunker vom Inspektionsdienst“ - eine ganz ruhige Kugel. Ich habe auch gerade den richtigen Tag für mich erwischt: vom Samstag mittag bis Sonntag mittag. In der Zeit ist nur innerer Dienst, Studium, Hausarbeiten etc. Da kann ich nun tadellos hier auf der „F.v.J.D-Stube“ sitzen, habe meine Ruhe, Radio und werde selten nur gestört. Das ist ganz fabelhaft. Einen einzigen Nachteil hat die Sache zwar: die Nacht werde ich mir wohl oder übel um die Ohren schlagen müssen - einer muß ja wach sein in der Inspektion. Aber ich hab’ ja Radio und da werd’ ich mir halt mal flotte Musik anhören; ich finde nämlich, das ist mal ganz am Platze, es ist ohnehin sowieso alles so freudlos. Jetzt müßte ich wissen, daß Du die selbe Musik hören würdest! Na, vielleicht hörst Du sie und denkst auch so lieb an mich ...

(Gerade höre ich „Schenk’ mir 24 Stunden Liebe ...“. Es ist 19.05 Uhr!)

Da denke ich an vergangene Zeiten;

Café Wien und ähnliche Scherze. Sag’ mal, kannst Du Dir das eigentlich noch vorstellen: Köln! Alles noch ganz! Frieden! Leben! Eine Buntheit - eine Großstadt! Und es war doch unsere Welt! Wir sind doch Großstadtmenschen. Man merkt doch immerwieder, wie man an all den Dingen hängt! Leider droht der so sorglich gehütete Hoffnungsborn zu versiechen - - leider! Trotz allem: Ich wehre mich dagegen, nein - ich kann es nicht glauben, daß dies Leben nicht mehr wiederkommen soll. Ich hoffe immer noch - ich glaube immer noch daran. Einmal wird alles wieder gut, einmal werd’ ich wieder bei Dir sein, Annelie ...

21.15 Uhr.

Fantastische Musik ist im Radio, Walzer von Strauß! Ob ich das noch mal lerne: Walzer tanzen?! Ich bin ja so schrecklich unbegabt - -

Da will ich jetzt Deinen lieben Brief vom 11.9. beantworten, den ich gestern bekommen habe.

Du willst mich also totküssen - nun, bitte aber nicht ganz, nur fast; ich will mich nämlich noch ein bißchen wehren können - so leicht sollst Du’s nun wieder

nicht haben, o - nein.

Du, ich muß Dir aber auch endlich mal wieder schreiben, wie ich aussehe. Du wirst erstaunt sein: ich habe ziemlich abgenommen, ja soviel, daß mir der Arzt Zusatzverpflegung verschrieben hat. Ich bin ziemlich schlank geworden, dabei fühle ich mich aber ungemein wohl. Außerdem steht mir das doch viel besser - was meinst Du! Außerdem habe ich wieder eine sehr sommerliche Färbung angenommen - ich bin sehr braun, so ähnlich wie ich damals aussah, als ich von Holland kam. Und die Haare haben auch wieder einen unerhört zivilen Charakter, ich muß ja manche Sticheleien einstecken deswegen, aber das macht nichts. Ich laufe nicht wie so’n Lucki herum mit 3 Haaren in 4 Reihen. Auf Körperpflege wird hier großer Wert gelegt; Du wirst Dir denken können, daß das mir das Wasser auf die Mühle ist! Ein wenig Eitelkeit ist ganz nett - jedenfalls wesentlich besser als Schlotigkeit! Was meinst Du?

Wenn jetzt andere Zeiten wären, würde ich Dich mal für ein paar Tage nach hier

bitten, so wie wir es immer vorhatten. Ich habe jetzt etwas mehr Zeit, besser gesagt: ich kann mir schon mal etwas Zeit machen. Es wäre sehr schön ...

22.20 Uhr.

Meine Eltern schrieben mir, daß sie im Falle das Köln evakuiert werde, zu Stohdieck’s gehen werden. Ich habe meinen Eltern schön diesbezüglich geschrieben. Liebste, Du mußt mir versprechen, daß Du bei meinen Eltern bleibst. Das ist schon eine Beruhigung für mich, wenn ich weiß, daß ihr alle beisammen seid. Und schließlich gehörst Du ja doch schon dazu!

Hoffentlich braucht Ihr nur nicht weg, ehrlich gesagt, große Hoffnung habe ich nicht. Denn wenn eine Linie noch gehalten werden kann, so ist es zweifellos die Rheinlinie. Ich glaube, daß wir längst des Rheins eine Front errichten können. Unsere Stadt wird gewiß restlos zur Sau gemacht, davon bin ich überzeugt. In Höften bei Stohdiecks braucht Ihr keine Angst haben. Bei solchem Bewegungskrieg halten sich die Truppen im Allgemeinen an die wichtigen Straßen und größeren

Orte. Ich kenne das von Rußland her. Es hat viele Gebiete gegeben in denen das Kampfgeschehen nicht tobte. Im Bewegungskrieg geht es grundsätzlich um das Gelände, was die Bewegung begünstigt und das sind nun mal die großen Straßen. Und dort geht wohl keine große Straße vorbei! - Also, kannst Du dann ganz unbesorgt sein. - Aber vielleicht kommt es garnicht so weit, ja es wäre schön. Ich kann nur immer wieder sagen, daß ich nicht glauben kann, daß alles umsonst gewesen sein soll - - ich glaube immer noch an ein glückhaftes Ende! - Jetzt lachst Du mich bestimmt aus. - Ja, ich bin Optimist! Kennst Du das Gleichnis mit den beiden Fröschen im Milcheimer? Denk mal nach, ich hab’s Dir bestimmt schon mal erzählt.

(Gerade singt Rosita Serano: „Roter Mohn ...“)

Du, ich könnte alles zusammendonnern, wenn ich so was höre! Verdammtnochmal! -

23.45 Uhr.

Heesters singt: „Die ganze Welt dreht sich um Dich ...“ Weißt Du noch, Liebste: „Immer nur Du.“! Mein Gott, waren das schöne Zeilen,

 

[Hier fehlt offenbar eine Seite.]

darüber, und ich weiß, daß dies auch Deine ist.

Das ist gerade daran denke: Wie hat sich eigentlich die Sache mit dem Funk[=?] entwickelt. Du hast mir garnichts mehr davon geschrieben. Hat der Krüppel sich eines Besseren besonnen? -

2.00 Uhr.

Wenn man so eine Nacht wach bleibt, dann kommt bekanntlich immer zu einer gewissen Zeit der tote Punkt. Den habe ich jetzt glücklich überwunden - ich habe gewissermaßen den Kampf besiegt; jetzt bin ich kaum noch müde. Dafür bin ich im Laufe des Tages umso kaputer. Doch heute am Nachmittag ist kein Dienst angesagt, da werde ich ein fabelhaftes Mittagsschläfchen halten können. Am Abend will ich dann mal in’s Kino gehen, hier im Lager läuft: „Träumerei“. Der Film soll sehr nett sein. Hast Du ihn schon gesehen?

4.15 Uhr.

So ein F.v.I.-D. hat auch eine ganze Menge Papierkrieg zu führen; den habe ich jetzt hinter mich gebracht, jetzt bin ich um diesen Kram schon leichter. Es wird nicht mehr

 

     [Rest fehlt!]