Andreas van Kann an Anneliese Hastenplug, 22. September 1944

Thorn, 22.9.44.

Meine liebe Annelie!

Schon ein paar Tage habe ich leider keine Post mehr von Dir bekommen, wer weiß wo Du vielleicht schon bist. Die Aussichten über die Evakuierung der großen Städte im Westen gehen nämlich sehr auseinander. Manche haben Nachricht, daß Köln, bzw. Düsseldorf, Bonn etc. als offene Stadt erklärt werde - andere wieder wollen wissen, daß die ganze Bevölkerung weg müsse. So weiß man nun nicht, woran man ist, dauernd diese Ungewißheit: wie wird es kommen, wie wird es werden.

Ich habe in diesen Tagen viel über uns beide nachgedacht - und ich muß sagen, daß ich mich manchesmal bei wirklich tollen Gedanken ertappt habe. Sieh’ mal, Annelie - ich habe die beiden Möglichkeiten mal durchdacht, die Du jetzt ergreifen kannst. (Ich spreche nur immer von Dir - weil mir alles andere gleichgültig ist!!) Die erste Möglichkeit besteht darin, daß Du in Köln bleibst, wenn die Tommies kommen. Was Euch daheim blüht, weiß ich nicht - ich glaube, daß man Euch wohl nicht gerade die Hälse abschneidet.

[ausgeschnitten und aufgeklebt:]

Über alle Weiten

Über alle Weiten
weht der gleiche Wind.
Warum weinen Menschen
sich die Augen blind?

Leuchten doch die Sterne
allerorten gleich
liegt die fernste Ferne
doch in Gottes Reich.

Halt dein Herz dem Hoffen,
nicht dem Trauern hin,
daß es dies erfühle:
Enden ist Beginn.

Winde werden wehen,
Sterne leuchtend stehn,
wann und wo auch immer
wir uns wiedersehn.

Hans Franck

Diese Dinge dürften schließlich propagandistische Windeier sein, das soll man mal entschieden festhalten. Ja, Liebste, in diesem Falle werden wir uns in der nächsten Zeit wohl nicht mehr sehen. Du erschreckst vielleicht über die kühle Realität meiner nüchternen Feststellung - ich glaube es und möchte Dich bitten, versuchen - ebenso hart zu denken. Dazu habe ich mich nun endlich durchgerungen. Jetzt nur nicht weichlich sein - jetzt nur nicht schwach werden; das wäre das Ende! Es wird gewiß nicht leicht sein - diese Trennung zu bestehn und auch noch zu wachsen in ihr, ohne irgendwie von dem geliebten Menschen zu wissen. Jahre um Jahre! - Da müssen wir schon unerbittlich sein - ganz klar und nüchtern die Dinge sehen. Es heißt Warten! Ich glaube, dies ist überhaupt das Gebot der Stunde: Warten zu müssen. Es ist schwer - unheimlich schwer; ich weiß es! Dafür muß man bereit sein, weißt Du, Liebste! Ich glaube, wir sind es. -

Die zweite Möglichkeit nun ist, daß Du jetzt aus dem Frontgebiet nach Osten wanderst. Ich habe dabei das Gefühl, das dies das Bessere sei - obwohl ich glaube, daß dabei der Wunsch der Vater des Gedankens ist,

und ich mir selbst eingestehen muß, das ich von ziemlich egoistischen Überlegungen ausgehe. Ich möchte Dich halt besitzen. - Dabei lasse ich die damit für Dich eintretenden Schwierigkeiten außer acht, das weiß ich. Ich habe mir auch schon mehrfach überlegt, Dich hierher zu bitten, aber hier steht der Russe ja auch nicht mehr allzuweit weg. Das ist wesentlich unangenehmer für die Zivilbevölkerung als die anglo-amerikanischen Soldaten.

Wenn ich nun das eine mit dem anderen abwäge - wenn ich eine Bilanz ziehe, Liebste - so muß ich mich zu dem ersteren entscheiden - zu dem härteren Schicksal, weil ich glaube, daß damit die Voraussetzungen für unser späteres Beisammensein ungleich stärker gegeben sind.

Darum mein Wunsch: Bleibe Daheim! Und verhalte Dich so, wie das Gesetz es verlangt. Tue Reell, gehe nach wie vor Deiner Arbeit nach und bekümmere Dich im Übrigen nicht um etwas anders, als um Dich, Deine Gesundheit und - wenn soviel noch übrig bleibt - um die Eltern. Daß Deine Gedanken immer bei mir sein werden, weiß ich - das

spürt man doch! Gleich wie ich auch immer an Dich denke. -

Wenn man sich so lieb hat, wie wir beide, Liebste - ich glaube, daß man dann über schwerste Stunden hinweg kommen kann. Wir müssen jetzt aufein[an]der verzichten für eine erhöhte Zukunft - irgendwo in weiter Ferne ...

Verzage nicht, meine Frau, gern wäre ich noch mal zu Dir gekommen - leider hat man mein Gesuch um Urlaub wiederholt abgelehnt. - Schade. -

Dieser Tage war der Schneider hier und hat für unsere Uniformen Maß genommen. In 4 Wochen werden wir sie wohl schon bekommen - nun, dann geht es ja auch schon rapid zu Ende mit dem Lehrgang. Es gibt sogar Urlaub - ja - und ich kann mich garnicht mehr drauf freuen. Wo soll ich denn hin? Nun, ich werde halt irgendwo hinfahren, wo ich mich ausschlafen kann - Du ich möchte mich mal 14 Tage lang jeden Tag ausschlafen können! - Ich will noch garnicht daran denken, es

ist ja witzlos, darüber zu schreiben. Noch ist es nicht so weit und ein winzig kleines Hoffnungsfünkchen hege ich immer noch. Ich bin Optimist - immer noch, hahaha!

Nun laß mich schließen, Liebste; ich liebe Dich ja so sehr!

Und viele liebe Grüße und einen ganz festen Kuß

Dein Adi.