Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 26. September 1944

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Frankenforst, 26.9.44.

Mein lieber Adi!

Heute ist schon Dienstag, immer ist noch keine Post von Dir da. Ich bin heute morgen garnicht zum Dienst gefahren, ich war noch so furchtbar müde, weil ich Samstag und Sonntag sowenig geschlafen habe und da habe ich einfach einmal einen Tag blau gemacht. Gerade rief Dein Vater an. Die Sparkasse hatte schon bei Euch zu Hause angerufen. Ja, wenn ich mal einen halben Tag fehle. Nun waren Deine Eltern schon in Unruhe, sie dachten ich sei nach Koblenz, weil dort gestern

wieder ein Fliegerangriff gewesen sein soll. Ja, die Koblenzer machen jetzt auch allerhand mit. Dort wird auch nichts mehr stehen bis der Krieg aus ist. Ich bin immer sehr in Sorge um die Eltern.

In der ganzen Gegend ist doch kein vernünftiger Luftschutzkeller. Man muß sich heute um alle Sorgen machen. - Wie geht es Dir noch Liebster? Ich bin so tief unglücklich weil ich so wenig Post von Dir bekomme. Innerlich bin ich ganz aufgewühlt. Eben hab’ ich im Bett nochmal „Ursula“ gelesen. Das Buch kann einen jedesmal von Neuem ergreifen. Erinnert es einen nicht sehr an die eigene Jugend? Ich sage Jugend!

Eigentlich ist es zum Lachen! Aber ist sie nicht schon vorbei, die eigene Jugend? Ich glaube bestimmt. So schön und unbeschwert wird unser Leben nie mehr sein. Es ist recht traurig, das sagen zu müssen. Aber ist es nicht so? Ich habe garkeine Hoffnung mehr. Im Innern mußt auch Du mir beistimmen.

Doch, nun weg mit den traurigen Zukunftsgedanken. Es ist nicht gut, wenn man so einen ganzen Tag alleine ist und seinen Gedanken nachgehen darf. Man kann es nicht mehr aushalten vor Sehnsucht. Wenn ich jetzt bei Dir sitzen dürfte, meinen Kopf an Dich lehnen und Deine lieben Hände halten dürfte! Wie froh wäre

ich. Wann wird diese Qual einmal ein Ende nehmen? Wird sie überhaupt mal enden! Ach, Adschki Liebster, ich habe Dich so lieb, so schrecklich lieb! Dich zu verlieren, bedeutete für mich den Tod. Ich könnte garkeinen Menschen mehr lieben als Dich, dann müßte ich verbrennen. So heiß ist meine Liebe zu Dir. Hast mich auch lieb? Natürlich, dumme Frage! Aus jedem Deiner lieben Briefe fühle ich das heraus. Nur fragen muß ich immer und immer wieder könnt’ ich’s hören. Jetzt wirst Du mich vielleicht auslachen und sagen, was hat mein Mädchen heute doch für Anwandlungen! Ach Adi, ich bin doch so schrecklich unglücklich! Kannst Du das denn nicht verstehen?

Liebster, im Geiste umarme ich Dich und küsse Dich ganz ganz lieb

Deine Annelie.

Ich hab’ noch was vergessen:

Hast Du meine Papiere bekommen? Die anderen schicke ich gleich ab.

Das polizeiliche Führungszeugnis ist immer noch nicht da. Wer weiß, vielleicht ist es in Koblenz umgekommen. Man weiß doch, wie es bei und nach einem Angriff zugeht. Ich gehe gleich nochmal zur Polizei und höre was ich machen soll. -

Nun noch etwas! Wenn in der nächsten Woche die Stunde zurückgestellt wird, dann kann ich natürlich bald nicht mehr zum Frankenforst fahren. Nun kann ich in Frechen ein Zimmer bekommen. Was soll ich machen? Soll ich mir das für die Wintermonate noch dazu nehmen? Ich habe nämlich eine solche Angst in Köln

zu schlafen. Köln wird bestimmt nochmal angegriffen. Am Samstag, als ich bei Euch schlief, hatten wir Großalarm. Der Drahtfunk sagte: Anflüge auf Köln. Da bekam ich solches Herzklopfen und konnte erst aufatmen als die Flieger doch nicht kamen. Nein, diese Angst könnte ich auf die Dauer nicht aushalten. Vater sagte am Sonntag, ich soll mir das Zimmer in Frechen ruhig mieten, man könne mit dem Geld ja sonst doch nicht viel anfangen. Das Zimmer im Frankenforst möchte ich gerne wegen unserer Kleider behalten. Schreib’ mir mal, was ich machen soll!

Annelie.