Andreas van Kann an seine Freundin Annelie, 1. Oktober 1944

Thorn, 1. Oktober 1944.

Meine liebe Annelie!

Heut bekam ich Deinen lieben Brief vom Dienstag, endlich wieder eine Nachricht von Dir. Du, Annelie, ich glaub - es liegt im Augenblick an der Post, daß wir beide so wenig Post bekommen, die Briefe laufen alle fast doppelt so lange. Du müßtest doch schon längst die Fotos von mir bekommen haben, gestern vor 8 Tagen schickte ich die schon ab und Dein Brief war vom Dienstag. Na, ich will hoffen, das sie mitunter da sind. Wie findest Du sie? Ich bin direkt begeistert davon; (von den Fotos natürlich nur!!!) in Thorn gibt es doch gute Fotografen! -

Deine Papiere habe ich jetzt alle bekommen, allerdings brauche ich alles nur einmal. In meinem gestrigen Brief schrieb ich ja schon, was ich noch brauche, Annelie - bitte - mach’ Dampf dahinter, jetzt ist es nämlich schon wieder soweit, das die Zeit drängt. Heute in 5 Wochen bin ich wahrscheinlich schon bei Dir! Und ich möchte nicht ohne Heiratsgenehmigung kommen!! - Schimpf bitte nicht über die vielen Laufereien, es lohnt

sich doch gewiß - und leider kann ich Dir diese unangenehmen Dinge nicht abnehmen, wie gerne würde ich es tun! -

Ich bin durchaus damit einverstanden, daß Du das Zimmer in Frechen nimmst; dabei aber außerdem die Wohnung im Frankenforst. Das ist für Dich eine große Erleichterung, denn die Zeit, die Du auf der Bahn bist kannst Du entweder verschlafen oder - - mir schreiben ... Aber wie ist das mit dem Essen? In[Ich] sehe in der Beziehung ziemlich schwarz in Frechen. Schreib’ mir mal, wie Du das zu lösen gedenkst. Daß Du nicht in der Stadt bleiben willst, beruhigt mich ja wirklich sehr, denn außerhalb ist es ja längst nicht so gefährlich als in der Stadt.

Liebste, ich trage mich seit einigen Tagen mit einem kühnen Plan! (Erschrick bitte nicht allzu sehr!) Bestünde irgendwie eine Möglichkeit, daß Du in 14 Tagen - 3 Wochen auf eine Woche herkommen könntest? Ich habe mir das mal überlegt. Schau mal, wenn ich keinen Urlaub bekomme, dann könnten wir uns nicht einmal sehen. Ja, und das wollen wir doch nicht - nein, Annelie, das schaffe ich einfach nicht! Die Reisegenehmigung

bekommst Du, wenn Du ein Telegramm von mir vorlegst, daß ich hier bin und auf Abstellung warte. Solch ein Telegramm kann ich Dir ja schließlich jederzeit schicken. Wie gesagt: mein Plan ist ziemlich kühn, ich weiß ja nicht, ob Du frei bekommst. (Es würde ja ganz herrlich - stell’ Dir das bloß mal vor!) Schreib’ mir auch bitte darüber mal, Du weißt ja, daß zum 5.11. der Lehrgang zu Ende ist - heute in 5 Wochen! -

Dein Brief ist ja recht traurig, Annelie - Du siehst ja so sehr grau in grau! Ich kann Dich gut verstehen, deswegen kann ich Dir auch keinen Vorwurf machen. Doch laß uns darüber den Mut nicht verlieren! Weißt’ doch wie ich das meine! Leben, Annelie - gemeinsam leben - wie, das ist garnicht wesentlich. - Das ist hart, so zu denken, ich schrieb’ Dir schon darüber. Und unsere Jugend ist längst vorbei - das ist schon solange so, wie ich Uniform trage. Die schönen Stunden, die seitdem gewesen, zähle ich noch zu einer früheren, glücklicheren Zeit. Unbeschwert wird unser Leben gewiß nicht mehr sein,

aber - es wird schön! Daran habe ich noch nie gezweifelt. Vielleicht müssen wir unsere Auffassung von „schön“ etwas korrigieren; das, was wir uns vorgestellt haben unter „schön“ ist es - so glaube ich - garnicht! Wir wollen doch weiter nicht, als ein schlichtes, liebes Zusammenleben und -denken! Und das ist gewiß immer gut und macht froh, bei Menschen, die sich so lieb haben, wie wir beide; liebe, gute Frau! -

Wie gut verstehe ich, daß Du Dich so einsam fühlst - geht es mir doch ganz genau so. Äußerlich zwar bin ich im Kameradenkreis in einer Gemeinschaft; aber geistig, Liebste, da bin ich so alleine, so einsam. Es findet sich so selten ein Mensch mit gleichen Idealen und ehrlichen Gedanken. Deswegen bin ich einsam - aber nicht nur deswegen! Der tiefste Grund liegt im Getrenntsein mit meiner geliebten Frau, mit Dir. Diese Einsamkeit ist manchesmal so schwer zu ertragen, das man fast verzweifeln könnte. Dann isst man unglücklich! Ja, ich weiß - mir geht es grad’ so wie Dir! - Nun, Liebste, dann aber kommt nur eine Überlegung um mich wieder froh zu machen: Wir beide leben ja noch und sind gesund! Das ist Grund

genug zum Frohsein. Heute ist das halt so. Wir müssen wesentlich werden! - -

Den ganzen Tag heute war ein Sportfest unserer Lehrgruppe. (3 Inspektionen) Ich bin natürlich nicht bei den Aktivisten gewesen, sondern nur Zuschauer. Trotzdem hat die 5. Inspektion in der Gesamtwertung einen glänzenden Sieg davon getragen! Es war sehr nett heute - ein Sportfest, fast wie in alten Zeiten. -

Nun laß mich schließen, Liebste überleg Dir mal, ob Du nicht doch für ein paar Tage zu mir kommst ...

Ich grüße und küsse Dich ganz lieb.

Dein Adi.

Mit gleicher Post schicke ich Dir die Zweitausfertigungen zurück, diese brauchen wir für’s Standesamt! -