Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 14. November 1944

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Frechen, 14.11.1944

Mein lieber, lieber Adi!

Endlich, endlich kam heute ein Telegramm von Dir. Seit Mitte Oktober war ich ohne jegliche Nachricht von Dir. Jeden Tag bin ich wie oft zur Post gelaufen, nie war ein Brief für mich dabei. Wie depriemierend[!] das für mich war, kann ich garnicht beschreiben, ich war ganz krank. Heute nun endlich kam Dein Telegram aus Königsbrück. Nun weiß ich doch wenigstens, wo Du bist. Seit dem 5.11. habe ich stündlich auf Dich gewartet. Ich konnte garnicht begreifen, daß Du nicht kamst. Ich dachte schon, man hätte Dich plötzlich an die Front gesteckt. Du hast doch auch immer so bestimmt mit Urlaub gerechnet, nun gab’s also doch keinen. Sehr, sehr schade, wo ich mich so darauf gefreut habe und Du natürlich auch. Und nach Königsbrück konntest Du ja auch nicht gut über Köln fahren. - Jetzt bist Du also Oberfähnrich! Meinen herzlichsten Glückwunsch! Ich freue mich ja auch mit Dir und bin sehr stolz auf Dich! Doch, das weißt Du ja alles. Wenn ich nur nicht solch schreckliches Heimweh nach Dir hätte! Ich hab’ Dich doch so lieb. Vorhin war ich auf der Post und habe folgendes Telegramm aufgegeben: Mir gehts gut. Deine Eltern sind in Oberstehöhe, da fliegergeschädigt. Brief unterwegs. - Ich werde diesen Brief nämlich einer Bekannten mitgeben, die ihn unterwegs einwerfen will. So wär’s ja immerhin möglich, daß Du den Brief vor dem Telegramm erhieltest.

Ja, Deine Eltern sind seit dem Angriff in Oberstehöhe. 1. Ist Eure Wohnung arg demoliert und 2. waren Deine Eltern Beide dermaßen mit den Nerven herunter, daß sie unbedingt aus Köln raus mußten. Dein Vater kann vorläufig sowieso nicht arbeiten, weil Köln ohne jeglichen elektrischen Strom ist, ebenfalls ohne Wasser und Gas. Ja, mein Liebster, wenn Du jetzt nach Köln kommst, Du wirst es wirklich nicht mehr wiedererkennen. Beschreiben kann man das einfach nicht. Am schlimmsten war der Angriff am 30. Oktober auf Lindenthal und Braunsfeld. Ich kann nur sagen: wegrasiert! Hoffentlich hast Du keinen allzu großen Schreck über das Telegramm bekommen. Zuerst wollte ich „leicht“ schreiben. Doch ich dachte, vielleicht kann Adi so etwas damit anfangen. Du verstehst?! -

Ich selbst wohne jetzt hier in Frechen bei einer Frau Were Harertz, Adolf-Hitler-Ring 6. Sie ist eine sehr gute und liebe Dame, sie läßt mich auch nicht verhungern. Deine Eltern wollten mich mit aller Gewalt nach Oberstehöhe mitnehmen. Doch was hätte ich schon dagemacht? Arbeitengehen muß ich ja sowieso. Und täglich über eine Stunde bis zur Bahn zu Fuß laufen und dann noch mit dem Zug fahren?! Nein dann bleibe ich doch lieber hier. Jetzt bin ich auch froh, daß ich’s nicht getan habe. Wer weiß, wo ich da gelandet wäre. Allerdings sitzen wir oft ¾ des Tages im Bunker, am schlimmsten hausen hier ja die Tiefflieger. Wir sind halt zu nahe an der Front. An den letzten drei Tagen war es etwas ruhiger, weil wir ganz miserables Wetter haben.

Wie geht es Dir denn noch? Mein Gott, so lange war ich noch nie ohne Post von Dir und dabei sind wir Beide in Deutschland. Sicher hast Du mir doch öfters geschrieben. Aber, wenn man dann garnichts hört, könnte man verrückt werden. Wie steht’s denn nun mit unserer Heirat?

Hast Du’s drangegeben? Es wäre kein Wunder bei solchen Zuständen. Sei mir bitte nicht bös, wenn ich manches so bitter ausspreche, aber manchmal ist doch alles zu schwer. Heute war ich direkt wieder viel froher und leichter nach Deinem Telegramm. Nun weiß ich doch wenigstens, daß Du noch hier in Deutschland bist. Und ich komme zu Dir, wenn es Dir selbst unmöglich ist zu kommen. Lieber wär mir’s ja, wenn Du kämst. Ich bin ein bißchen bange vor der Reise. Trotz allem - ! -

Hast mich auch noch lieb? Ich habe, als ich am Sonntag im Bett lag, so viel an Dich denken müssen und da hab’ ich’s fast nicht aushalten können vor Sehnsucht. Mir tut das Herz so weh! -

Wenn Du mir schreibst, daß ich kommen soll, bitte bestimmt drei Wochen vorher Telegraphieren, damit ich mich vorbereiten kann, ich hab’ nämlich nichts hier als ein altes blaues Kleid und bis zum Frankenforst macht man heute eine Tagesreise. Lieber, lieber Liebster, hoffentlich sehen wir uns bald!

Ich umarme Dich ganz innig und küsse Dich lieb lieb

Deine Annelie.