Anneliese Hastenplug an Andreas van Kann, 21. November 1944

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Frechen, den 21.11.44.

Mein lieber Adi!

Heute erhielt ich Deinen letzten Brief aus Thorn mit der neuen Anschrift von Königsbrück. Sie lautet allerdings etwas anders als die des Telegramms. Da ich nun nicht weiß, welche die richtige ist, will ich diesen Brief mal zu der erstgenannten schreiben. -

Gestern und vorgestern traf ich mich mit Deinen Eltern in Köln. Wir haben uns das Wohnzimmer in Ordnung gebracht und gut eingeheizt und es uns so gemütlich gemacht wie eben möglich (wenn auch ohne Licht und ohne Wasser.) Alarm und Flieger und Bomben hatten wir auch den ganzen Tag uns aber nicht dadurch erschüttern lassen. Deine Eltern hatten noch keine Nachricht von Dir und waren froh, als ich ihnen Deine neue Anschrift mitteilen konnte. Dein Vater war auch gleich Feuer und Flamme für eine Reise „zu Dreien“.

(Ob Du und ich auch so begeistert davon sind, weiß ich nicht!) Im Übrigen wollten sie Dir aber noch ein von der Ortsgruppe abgestempeltes Telegramm

schicken. Vielleicht bekommst Du daraufhin doch Urlaub. Es wäre ja doch viel viel schöner, wenn Du kommen könntest. Versuch’s doch bitte nochmal. Wenn es nicht klappt, komme ich natürlich zu Dir. Gell Du kannst das doch verstehen und glaube bitte nicht, ich sei zu bequem! Nein, das weißt Du doch. Aber die Züge fahren immer noch erst ab Opladen. Und daß es nicht so ganz einfach ist von Frechen nach Opladen zu kommen, so ganz ohne Bahnverbindung, nur auf L.K.W. angewiesen, kannst Du Dir wohl vorstellen und dann womöglich in Sonntagskleider und Hut. Schließlich könnte ich ja nicht wie ein Zigeunerweib bei Dir erscheinen. Das sind natürlich alles Schwierigkeiten, die sich überwinden ließen. Nur, es ist dies alles für einen Mann und Soldaten bedeutend einfacher. Vielleicht klappt es doch, daß Du Urlaub bekommst. Mein Gott, ich wäre ja so glücklich. (Draußen schießt die Arri, sie steht schon bei Kerpen!) Sonst komme ich also Dresden! Welche Strecke fahre ich da und wie lange

fahre ich. Wenn ich gerade so dort wäre, wär’ ja auch ganz schön. Dein Dresden! Immer schon hatte ich mir gewünscht, einmal dorthin zu kommen. Ist Königsbrück wirklich nicht mehr als 5 km von Helbrau entfernt? Dann wirst Du doch gewiß auchmal zu Wülfrath fahren. Es muß doch eine sehr schöne Zeit für Dich sein.

Ich freue mich wirklich für Dich. Wie schnell nimmt das doch auch wieder für Dich ein Ende. In jeder Minute mußt Du Dir dessen bewußt sein und Dich jeden Augenblicks freuen. Das haben wir doch bestimmt gelernt, uns jedes schönen Augenblicks zu freuen. So lange es mir noch so geht wie momentan, will ich nie mehr klagen, es kann nämlich noch viel viel schlimmer für uns kommen. Am meisten freue ich mich über Post. Post ist für mich ein Weihnachtsgeschenk, besonders wenn sie von Dir ist, Liebster. Ich hätte nie gedacht, daß ein Brief des Liebsten so beglücken könnte. Ich hab’ Dich doch so lieb. Mein Gott, und wie! Nein, zu Papier kann ich das nicht bringen. Oft ist mein Herz voll zum überfließen. Könnte ich Dir nochmal zeigen, wie lieb ich Dich habe. Vielleicht

sehen wir uns doch schon in Kürze. -

Heute bekam ich Post von zu Hause. Nun ist unser Haus ein Trümmerhaufen, unsere gerettete Wohnung auch kaputt. Nun ja! - Die Eltern warten auf meinen Besuch. Wenn es nicht so schrecklich umständlich wäre. Die Züge fahren erst ab Kalscheuren und wie dahin kommen? Hätte ich mein Fahrrad noch. -

Von Adele bekam ich gestern 6 alte Briefe. Die hat’s auch nicht leicht! -

Mir geht es sonst noch gut. Wenn ich nur nicht solches Heimweh nach Dir hätte, dann wäre alles gut. Wie steht es mit unserer Heirat? Ob wir wohl noch in diesem Jahre dazu kommen. Die Aussichten auf die noch fehlenden Papiere werden immer geringer. Sind denn diesbezüglich noch immer keine Vereinfachungen getroffen? Ich kann das garnicht verstehen. -

Heute wurden im Hause unserer Sparkasse fünf Flüchtlinge untergebracht. Düren und Umgebung mußte geräumt werden.

Liebster, hoffentlich bekomme ich recht bald einen lieben langen Brief von Dir.

Einen lieben lieben Kuß

Deine Annelie.